Die Quelle
habe ich Angst und würde am liebsten in meine Welt
zurück…“
Mehana lächelte warm. „Wer warst du in deiner
Welt?“
Leathan zögerte nur kurz, etwas verlegen…
„Nun, ich kann mich an zwei Leben erinnern. In beiden war
ich eine Frau. Zuletzt war ich erst sechzehn Jahre alt.“
Leathan musste dagegen ankämpfen, zu stark an sein
Leben als Lisa zu denken. Er fragte sich, was mit Lisa jetzt passierte und er sehnte
sich plötzlich zurück zu Sandra, Veronika und Daniel.
Mehana stand trotz ihrer Erschöpfung auf, um eine
Hand auf seine Stirn zu legen. Die Berührung war angenehm warm und Leathan
fühlte, wie durch eine leise Melodie hindurch eine ruhige Energie in
seinen Körper floss. Seine Gedanken wurden allmählich harmonischer
und die Sehnsucht nach Lisas Welt verschwand, fast als hätte es sie nie
gegeben. Kurz darauf setzte sich die Regentin wieder. Leathan konnte
beobachten, wie Loodera ihrem Impuls widerstand, ihre Mutter zu stützen,
die nun noch geschwächter als zuvor wirkte. Er dachte verständnislos
über das Verhalten der jungen Heilerin nach und über die befremdliche
Lage. So gütig war Loodera, so großzügig und dennoch war sie zu
eine Verräterin geworden… Er würde so gerne die Gründe
dafür verstehen. Mehanas Energie hallte jedoch in ihm nach... Allmählich
verblasste sogar seine Sorge um Loodera und ein wohliges, warmes und
friedliches Gefühl nahm ihn ein. Am liebsten hätte er sich jetzt
hingelegt und geschlafen. Es war an diesem ersten Tag, den er im wachen Zustand
in dieser fremden Welt verbrachte, schon so viel passiert…
Mehana wartete einige Augenblicke, ehe sie weiter sprach,
ob um sich selbst zu erholen oder eher um ihm Zeit zu gewähren, sich zu
sammeln, wusste Leathan nicht. Offensichtlich war es, dass auch sie Erholung
brauchte, doch ihre Pflichten waren ihr vermutlich wichtiger als ihr eigenes
Wohlergehen.
„Leathan, das Gefühl, das ich dir vermittelt habe,
wird leider nicht sehr lange anhalten, da es nicht dein natürlicher
Zustand ist. Etwas Harmonie, wenn auch kurzfristig, wird dir jedoch vielleicht
helfen, dich leichter bei uns zurechtzufinden.“
So viel Kraft strahlte Mehana aus, so viel Vertrauen
erweckte sie, dass Leathan sich fast schuldig fühlte, zuvor Misstrauen
empfunden zu haben.
„Danke, es hilft wirklich…“
Mehana zögerte nicht, offen eine Gegenleistung zu
verlangen.
„Nun brauche ich deine Hilfe. Ich muss in die Gedanken
von Loodera gelangen, sonst kann ich ihr nicht helfen. Ich muss wissen, was
Alienta angerichtet hat.“
Es gab kaum etwas, dass er Mehana hätte abschlagen
können. Doch er wusste nicht, wie er das, was er getan hatte, aufheben
konnte. Er stammelte etwas verlegen.
„Ich kann es gar nicht… Ich weiß nicht genau, wie
ich es geschafft habe, ihre Gedanken zu blockieren, es kam mir einfach so in
den Sinn… Wie ich es rückgängig machen kann, weiß ich nicht.
Kannst du es mir vielleicht beibringen?“
Mehanas Augen blitzten für einen kurzen Augenblick
auf, so kurz, dass Leathan sich nicht mehr im Klaren darüber war, ob es
tatsächlich statt gefunden hatte. Hatte er Zorn, Misstrauen oder
Verwunderung gesehen? Er wusste es nicht, denn Mehana war wieder völlig
gelassen.
„Nun, ich denke wir sind alle erschöpft, daher
sollten wir es einfach auf morgen verschieben. Dann bringe ich es dir bei…
Inzwischen vertraue ich einfach darauf, dass Loodera mir die Wahrheit sagt.“
Mehana schenkte ihrer Tochter einen warmen, liebevollen
Blick. Leathan wusste, dass Loodera bereit war, Mehana alles zu gestehen, das
hätte er nun an ihrer Stelle auch getan… Loodera widerstand nicht,
wahrscheinlich, weil sie es sich ohnehin nicht wünschte. Sie blickte
bedauernd zu Leathan.
„Ich kann dich nicht länger begleiten, ich
gehöre zu den Verrätern, die nichts bereuen. Im Grunde habe ich immer
gewusst, dass Alientas Lehren in den Augen unseres Volkes falsch waren. Dennoch
habe ich seine Meinungen geteilt und bin ihm immer gefolgt. Es stimmt, ich
liebe mein Volk, doch ich werde von nun an für mein Volk zu Anthalion
beten, auch wenn er mein Feind sein sollte, auch wenn er die Quelle versiegen
lassen will. Ich will nicht länger verbergen, wer ich bin und wie ich
denke. Ich wähle das Exil. Ich werde nicht versuchen, zu meiner alten
Persönlichkeit zurückzukehren, denn das würde mich unglücklich
machen.“
Leathan las in den offenen Gedanken Mehanas und er
wusste, dass die Regentin sich ihm freiwillig mitteilte. Sie hatte es
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