Die Quelle
keineswegs ihre Erschöpfung zu verbergen,
was, statt sie ihrer Autorität zu berauben, diese eher zu verstärken
schien.
Loodera nutzte den Augenblick, da noch immer Unruhe im
Saal herrschte, um Leathan eine Frage zuzuflüstern. Sie wirkte angespannt.
„Weshalb hast du meine Gedanken geschützt? Ich bin
eine Verräterin, wie die anderen! Ich gehöre in den Kerkern.“
Leathan sah die zierliche Heilerin an, die verzweifelt
versuchte, sich selbst zu verurteilen.
„Ich glaube nicht, dass du das bist. Du magst das
Verhalten deines Volkes kritisieren, aber du liebst deine Stadt und auch die
Menschen in ihr.“
„Aber ich glaube auch, dass wir nur überleben
können, wenn wir uns dem Gott-König Anthalion unterwerfen.“
„Es kann doch nichts falsches sein, eine eigene Meinung
zu haben…“
Gerne hätte er sich noch länger mit Loodera
unterhalten, doch auch die letzten Gefangenen hatten den Saal verlassen und
Mehana sah nun zu ihnen beiden. Ihrer stummen Aufforderung folgend, machten sie
die wenigen Schritte, die sie noch von der Regentin trennten.
Mehana bot Leathan und Loodera an, sich ihr
gegenüber zu setzen. Ihre Aufmerksamkeit galt vorerst nur Loodera, wodurch
sie Leathan die Gelegenheit bot, sie genauer zu betrachten. Erst jetzt da er
ihr nah genug war, konnte er die Zeichen ihres Alters auf ihrem Antlitz
erkennen. Sicherlich hatte sie erst recht spät ihre Tochter geboren. Trotz
ihrer Müdigkeit klang ihre Stimme noch immer ruhig und selbstsicher.
„Leathan ist ein guter Name und ich danke dir, dass du
den Mut hattest, ihn aus dem Schlaf zu holen. Inzwischen weiß ich, dass
es verhängnisvoll gewesen wäre, ihn noch länger mit
Kräutern zu betäuben.“
Sie hielt ihre Gedanken weit offen und Loodera erkannte
in ihnen gleichzeitig mit Leathan, dass Alienta tatsächlich ein
Verräter war und es zu seinem Plan gehört hatte, Serfajs Körper
so lange schlafen zu lassen, bis alle Erinnerungen außer Serfajs,
gelöscht worden wären. Beschämt senkte Loodera den Blick und
schüttelte den Kopf. Es war klar zu erkennen, auch wenn ihre Gedanken noch
immer versperrt waren, dass sie die Tat bedauerte, die Mehana gerade gelobt
hatte. Leathan fühlte sich verletzt zu erfahren, dass die einzige Person,
die er in dieser Stadt kannte und mochte, ihn so bereitwillig geopfert
hätte. Wo war er nur geraten? Traurig betrachtete Mehana ihre Tochter, als
sie ihr Verhalten richtig deutete. Die Regentin wusste nun mit Sicherheit, dass
die Gedanken ihrer Tochter von Alienta vereinnahmt worden waren. Als Mehana
sich Leathan zuwandte, war dieser Anflug von Traurigkeit jedoch bereits
verschwunden, als seien ihre Gefühle nur ein kurzes Aufflackern ihrer
Seele gewesen. Freundlich und dennoch kühl klang ihre Stimme.
„Ich danke dir, dass du zu uns gekommen bist. Du
weißt sicherlich schon, dass nur du, der nicht in unserer Welt geboren
wurde, Kontakt mit unserem König aufnehmen kannst. Wenn du nur noch die
Erinnerungen von Serfaj gehabt hättest, wäre dieser Kontakt
vielleicht nicht mehr möglich gewesen und so auch nicht die Erfüllung
der Prophezeiung.“
Leathan überlegte kurz. Das, worauf Mehana
anspielte, war nur noch unvollständig in Serfajs Erinnerungen zu finden.
Es gab eine Prophezeiung, an die er sich dunkel erinnern konnte. Die Details
hatte er vergessen, doch er wusste, dass weder Mensch noch Tier, welche in
dieser Welt geboren worden waren, mit dem König kommunizieren konnten.
Die Prophezeiung sagte, dass in Tagen der Not ein Wesen
aus einer anderen Welt gerufen werden müsste, um dem König als
Sprachrohr zu dienen. Leathan wollte sich keine Blöße geben und er
versuchte eine passende Antwort zu finden.
„Das kommt darauf an, was zählt: die Seele oder die
Erinnerungen. Auch wenn ich mich selbst für Serfaj gehalten hätte,
ist meine Seele dennoch eine andere und nicht hier geboren worden.“
Mehana nickte abwägend. „Richtig, doch da wir es
nicht mit Sicherheit wissen, wäre es ein Risiko gewesen, dich vergessen zu
lassen, wer du bist und woher du kommst… Wie fühlst du dich, in diesem
Körper und in unserer Welt?“
Leathan wunderte sich über diese direkte Frage, die
er kaum in der Lage war zu beantworten. Er hätte ihr gerne seine Gedanken
zu lesen gegeben. Mehana hatte eine Ausstrahlung, die einem das Gefühl
gab, ihr alles anvertrauen zu können.
„Das kann ich nur schwer beantworten. In manchen
Augenblicken sehe ich das alles nur als eine Art Spiel und es geht mir gut…
Dann wiederum
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