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Die Quelle

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Cosentino
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nicht so angefangen, wie
Leathan es sich erhofft hatte. Noch vor Morgengrauen hatte Esseldan ihn aus dem
Schlaf gerissen, um ihn zum Refektorium zu begleiten. Fast war es Leathan
vorgekommen, als sei er gerade erst eingeschlafen. Unruhig hatte er die Nacht
wach auf der Schlafmatte gelegen und dabei vergebens versucht, die grauenhaften
Zukunftsvisionen zu verstehen, die am Vortag während seiner Unterhaltung
mit Alienta über ihn gekommen waren. Doch nicht seine Müdigkeit war
es, die seine Laune auf den Tiefpunkt gebracht hatte, sondern das, was Esseldan
ihm unmittelbar nach seinem unsanften Wecken, offenbart hatte. „Ruvin wartet
schon auf dich, sein Trupp wird dich zum Wald der Quelle begleiten.“ Nicht
Esseldan selbst oder zumindest die erfahrene Kriegerin Galtiria würde ihn
begleiten, sondern Ruvin und ein Trupp jüngerer Krieger. Natürlich
musste Esseldan als Armeeanführer die Verteidigung seiner Stadt
organisieren, nun da ihm und seinem Volk bewusst geworden war, dass Anthalions
Angriff jederzeit seinen Anfang nehmen konnte. Dennoch fühlte sich Leathan
einsam und im Stich gelassen. Er kannte Ruvin und er mochte ihn, doch zu jung
und unerfahren war er, um Leathan Halt in dieser fremden Umgebung zu bieten.
    Passend zu Leathans Enttäuschung gesellte sich das
Wetter. Es hatte sich während der Nacht verschlechtert, so rasch, wie es
wohl nur in bergigen Gegenden möglich war. Die Kälte und der
Nieselregen hatten Leathan zum Frösteln gebracht, noch ehe er mit Esseldan
das Refektorium erreicht hatte.
    Jetzt, kaum eine Stunde später, da er mürrisch
auf sein Pferd saß und sich bemühte, den weiten ledernen Umhang, den
er trug, enger an sich zu ziehen, gab es nichts mehr, das ihn hätte aus
seinen trüben Gedanken reißen können. Er hielt sich
gedankenverloren an dem Ledergurt fest, der hinter dem Widerrist seines Pferdes
angebracht war und eigentlich nur verwendet wurde, um Bogen und Köcher zu
befestigen, oder um sich während eines Kampfes daran festzuhalten. Ruvin
ritt voraus und hatte seinen Trupp, der aus einer Frau und fünf
Männern bestand, bereits über die breiten Brücken geführt,
die zwischen den Reisfeldern hindurch führten. Nach einer knappen
Begrüßung im Refektorium, hatte er kaum noch ein Wort zu Leathan
gesagt. Ruvin wirkte distanziert, doch weshalb er sich so verhielt, wollte
Leathan nicht auf telepathischem Wege herausfinden. Er war an diesem Morgen zu
sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich mit den Gedanken anderer
zusätzlich belasten zu wollen.
    Betrübt schweifte Leathans Blick über die
Prärie, die vor ihnen lag und sich bis zum Horizont erstreckte. Das
eintönige Geräusch der Hufe ihrer Pferde, die sich in den
durchnässten Boden hinein zu saugen schienen, betonte noch das Gefühl
der Einsamkeit, das ihn erfasst hatte. Nur drei Tage sollte der Ritt bis zum
Wald der Quelle dauern, drei Tage, die ihm jetzt schon wie eine Ewigkeit
vorkamen. Er sah auf seiner rechten Seite die Bergkette, die in dieser
eintönigen Landschaft verraten würde, ob die Reiter sich
überhaupt vom Fleck bewegten. Tröstend war der Anblick nicht. Wie
drohende Schatten wirkten die Berge in ihren grauen Wolkenschleier
gehüllt. Nur einer der vielen Gipfel war noch zu sehen. Dort hatte sich
die Sonne eingefunden, dort verausgabte sie ihre wohltuende Wärme,
für die Reisenden so fern und unerreichbar, dass sie Leathan wie eine Fata
Morgana vorkam. Einmal mehr an diesem Tag fröstelte er, doch diesmal nicht
vor Kälte. Er fühlte sich unter dem dunklen Himmel, inmitten dieser
bedrückenden Landschaft verloren, verletzlich und unbedeutend. Wie
ausgelöscht war die Selbstsicherheit, die er durch Looderas und auch durch
Esseldans Nähe gewonnen hatte. War er es wirklich, auf dem die Hoffnung
eines Volkes ruhte? Nicht nur erschien es ihm unvorstellbar diese Verantwortung
zu tragen, er wollte es auch nicht. Seine Aufgabe klang so einfach, wenn man
sie aussprach: Er sollte den König treffen, den außer ihm keiner
finden konnte, seine Befehle entgegen nehmen und sie ans Volk der Wächter
weitergeben. Die Schreie sterbender Menschen, die er in seinen Visionen
gehört hatte, waren es, die ihm zu verraten schienen, dass er seiner
Aufgabe nicht gewachsen war… Seine eigenen Schreie, die er noch vor der
Kerkertür von Alientas Zelle zu hören geglaubt hatte, waren es, die
ihm den Mut nahmen… ‚Hätte Lisa jetzt geweint?’, dachte Leathan, als erste
Tränen seine Augen füllten. Zum Glück regnete es, zum

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