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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Tempos.
    Sie legte den Apfel zurück. Den würde sie sich später gönnen. Die restlichen Tempos waren klamm, trotz der Plastikverpackung, doch das war nicht weiter schlimm. Ihre Schulter war versorgt, und die Biss- und Schürfwunden, die sie sich zugezogen hatte, waren nicht tief und würden auch so heilen. Stattdessen holte sie den Flötenkasten hervor.
    Vorsichtig öffnete sie ihn. Der Samt, auf dem ihre auseinandergenommene Holzquerflöte gebettet war, war ebenfalls klamm, aber es sah nicht aus, als habe das Instrument größeren Schaden davongetragen. Der Kasten schloss relativ dicht. Sie nahm die Einzelstücke heraus, wischte sie an ihrer Kleidung ab – ein nutzloses Unterfangen, da diese Sachen auch nicht trocken waren.
    Ganz automatisch setzte Una die Flöte zusammen. Es war ungeheuer beruhigend, das Instrument in den Händen zu halten, wie ein Stück Heimat. Zu Hause hatte sie auch eine klassische Querflöte aus Metall, aber nach Irland nahm sie immer die Holzquerflöte mit. Die passte besser zur irischen Musik. Ihr Klang war weich und samtig, und Una liebte ihn.
    Sie setzte das Mundstück an die Lippen, wollte wenigstens irgendetwas Vertrautes hören. Sie atmete tief ein. Kanura, dachte sie und spürte deutlich seine Präsenz. Doch er war nicht da. Kanura, ich spiele für dich.
    Aus dem Nichts löste sich ein Schatten und fiel über sie. Der Schatten war mehr als das Fehlen von Licht. Er hatte Gewicht. Und Gewalt.
    Die Flöte wurde ihr aus den Händen gerungen. Una fiel rückwärts um. Etwas griff nach ihr.

Kapitel 56
    » Das ist Dauronas’ Bandelier! « , schrie einer der Kentauren, noch während Kanura an den Knöcheln rückwärts aus dem Gang gezerrt wurde. Er versuchte, sich festzuhalten, aber der Steinboden des Korridors war glatt, und Kanuras Finger fanden keinen Halt. Er wand sich verzweifelt, aber der Griff um die Knöchel ließ nicht nach.
    » Er hat Dauronas umgebracht! «
    Kanura hatte nicht einmal Zeit zu leugnen. Schon war er wieder in dem großen Raum, umringt von Feinden, die auf ihn hinunterstarrten und von denen allein vier ihn an seinen Fußknöcheln festhielten und diese ein ganzes Stück hochhoben, sodass er zwangsläufig nur noch mit dem Oberkörper hilflos auf dem Boden lag. Wieder versuchte er sich loszureißen, doch die Position war für einen Kampf denkbar ungünstig. Er tastete wild nach einer Waffe in seinem erbeuteten Bandelier, doch das machte seine Feinde umso wütender. Eine Flut von Huftritten prasselte auf ihn nieder, und er schrie vor Schmerz auf. Hufe waren Waffen, und Kentauren waren groß und stark. Jeder Tritt hatte gewaltige Wucht.
    Sie würden ihn in Grund und Boden trampeln. Er versuchte wenigstens seinen Kopf mit den Armen zu schützen. Doch sein Körper wurde getreten, als bearbeitete man ihn mit Dreschflegeln, reihum im Takt der Zerstörungswut.
    » Was machen wir mit ihm? « , rief einer.
    » Wir haben sein Horn. Er wird nicht mehr gebraucht! « , sagte ein anderer. Und schon folgten weitere Tritte. Kanura schrie erneut. Er konnte nicht mehr anders.
    » Wer weiß « , sagte wieder ein anderer. » Vielleicht brauchen wir ihn doch noch für irgendwas. «
    » Für was? «
    » Na, wegen seines Horns … «
    » Meines Horns, meinst du! « , sagte der Graue klingenscharf. » Es ist jetzt mein Horn! « Betretenes Schweigen folgte darauf. Vermutlich hatten die anderen gedacht, es wäre ihrer aller Horn.
    Kanura starrte auf die Hornklinge, die der Graue in der Hand hielt wie einen Dolch. Selbst für den Feind war sie offensichtlich mehr als nur eine Waffe. Sie hatte dem Herdenführer die Tür geöffnet. Zumindest nahm Kanura das an. Das hieß, sein Horn funktionierte auch in Kentaurenhänden. Kanura wurde schlecht, als er begriff, dass ein anderer – ein Kentaur – sein Horn, einen Teil seines Körpers, benutzen konnte, wie es ihm beliebte. Kanura fühlte sich beschmutzt. Er konnte nicht einmal annähernd die Bandbreite der Möglichkeiten ermessen, die dem Kentauren jetzt zur Verfügung standen. Konnte er alles, was Kanura gekonnt hatte? Vielleicht sogar mehr? Oder funktionierte das Horn nur bei so mechanischen Aufgaben wie dem Öffnen einer magisch verschlossenen Tür?
    Würde das Horn seine magische Wirksamkeit behalten, wenn Kanura tot war? Oder würde es mit ihm sterben? Tyrrfholyn tauschten keine Hörner, und wer in den Klangnebel ging, nahm sein Horn mit – wenn er es hatte.
    Als ob dieser Gedanke die Kentauren erneut auf seine Lage konzentrierte, wandten sie

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