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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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fand einen besonders großen Stein, der in einen Ring gefasst war, und betrachtete ihn nachdenklich. » Meinst du, sie haben diese Dinge gefertigt, um sich ein Stück Heimat zu schaffen? Schließlich können sie nicht zurück. «
    » Wenn man mit Nymphenseelen tatsächlich die Grenzen der Welten durchmessen könnte, vielleicht doch. «
    » Warum sollten sie das wollen? Der letzte Mensch kam vor vielen Generationen hierher. Alle in Talunys lebenden Menschen sind hier geboren, auch ihre Väter und Vorväter schon. Sie gehören zu Talunys. Wer weiß, wie ihre Welt jetzt aussieht? Was man so hört, ist es schon immer eine gewalttätige Welt gewesen. Wer wollte schon freiwillig dorthin? «
    » Krieg haben wir jetzt auch hier « , gab Perjanu zu bedenken. » Nicht zuletzt wäre das ein Grund zu gehen, so man denn könnte. «
    Sie schwiegen eine Weile und suchten weiter.
    » Umgekehrt könnte es auch einen Sinn ergeben, wenngleich auch einen fürchterlichen: Wenn man fort wollte, wäre dann Krieg nicht eine Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen? « , fragte Esteron.
    » Ich sehe den Zusammenhang nicht « , gab Perjanu zurück. » Wie sollte ein Krieg … «
    » Wenn die Pforten zwischen Talunys und der Menschenwelt wieder offen sind, dann mögen die Uruschge vielleicht nur die Folge, aber nicht die Ursache sein. Vielleicht haben … andere diese Änderung bewirkt. «
    Perjanu erstarrte.
    » Eine schwere Anschuldigung, Hra-Esteron. «
    » Keine Anschuldigung. Eine von vielen Möglichkeiten. «
    » Dennoch eine schreckliche Vorstellung. Ich ziehe es vor, zu glauben, dass die Menschen gerne hier leben. In Frieden. Und in der Freiheit zu glauben, was sie glauben wollen. Soweit ich weiß, war das nicht einmal in ihrer Menschenwelt der Fall. «
    » Du ziehst es vor zu glauben … damit bist du den Menschen ähnlicher als du meinst, alter Freund. Doch auch für mich gibt es Dinge, die ich lieber glaube, und solche, die ich weniger gern glauben möchte. So habe auch ich Präferenzen. Die dürfen wir haben, solange wir alle Möglichkeiten im Blick behalten. «
    » Du bist weise, mein Fürst. «
    » Ich bin verzweifelt, Schanchoyi Perjanu. Ich will meinen Sohn zurück. Ich weiß nicht, wo er ist und ob er überhaupt noch lebt. «
    » Esteron, sieh einmal. Dieser blaue Stein – ähnelt er nicht dem, den wir in Kanuras Hand gesehen haben? «

Kapitel 27
    Una jammerte kaum. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um sich festzuhalten. Mit einer Hand hatte sie eine Unebenheit im Felsen ertastet und sich mit den Fingernägeln daran festgekrallt. Doch das half so gut wie gar nicht. Mit der anderen Hand hielt sie den Riemen des Rucksackes umklammert, der sich wiederum irgendwo verkeilt hatte.
    Ihre Finger rutschten langsam ab. Und der Rucksack gab Geräusche von sich, die befürchten ließen, dass auch hier kein fester Halt zu gewinnen war. Es ging bergab, Zentimeter um Zentimeter, und sie hätte noch ein paar Hände gebrauchen können, um nachzugreifen, neuen Halt zu suchen, irgendetwas zu tun. Sie konnte nicht einmal sehen, wie es auf der Abgrundseite aussah, es war zu dunkel.
    Niemand würde sie je finden. Vielleicht bei Ausgrabungen in ein paar hundert Jahren. Was würde man dann denken? Hügelgrab aus dem frühen einundzwanzigsten Jahrhundert mit rituellen Grabbeigaben? Und ihre Mutter … an die wollte Una schon gar nicht denken. Wie lange würde sie suchen? Vergeblich suchen?
    Als sie eine Stimme hörte, war sie zerrissen zwischen dem Gefühl der Erleichterung, dass ihr vielleicht jemand zu Hilfe kommen, und dem der Panik, dass es sich dabei um Kanura handeln könnte. Sie öffnete den Mund, sagte dann aber nichts, wusste einfach nicht, was. Die Unsicherheit zerrte an ihr.
    Was immer an Sternenlicht durch den flachen Spalt im Berg zu ihr in die Höhle gedrungen war, erlosch vollends. Die Schwärze, die sie umgab, war jenseits dessen, was sie als Stadtmensch kannte. So musste es sich anfühlen, blind zu sein.
    Erst blind, dann tot.
    Zuerst wusste Una nicht, was vor sich ging, doch dann verstand sie: Er, Kanura, suchte sie. Auch er kroch nun in die Höhle! Wie dieser große Kerl überhaupt durch die Öffnung passte, wollte ihr nicht in den Kopf. Sollte sie ihn warnen, dass es auf ihrer Seite steil bergab ging? Sollte sie nicht endlich irgendetwas sagen? Doch ihre Kehle war wie zugeschnürt.
    Wieso wusste er, dass sie hier war? Konnte er in der Dunkelheit besser sehen als sie? Und würde er sie nun umbringen, indem er sie in den Abgrund stieß?

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