Die Quellen Des Bösen
dicke Mappe mit Anweisungen, auf welchen Wegen und aus welchen Gebieten die Freiwilligen anrücken sollten. Spätestens bis zum Frühjahr nächsten Jahres sollte das Doppelte der alten Stärke in den Feldlagern erreicht sein. Der Schlag, der zu diesem Zeitpunkt erfolgen sollte, würde den Kensustrianern das Rückgrat oder wenigstens die Moral brechen.
Nesreca blickte sich um, ob alles für das Arbeitstreffen mit Govan vorbereitet war.
Seine Augen hefteten sich auf einen Zettel, der halb unter der Schreibtischunterlage herausschaute. Ohne zu zögern griff er danach und nahm ihn hervor, um ihn zu überfliegen.
Zu seinem Erstaunen fand er die Nachricht von Commodore Fraffito Tezza, der von ersten Erfolgen zur Anbahnung eines Krieges berichtete; der Ausbruch stünde kurz bevor.
Nachdenklich ließ er den Zettel sinken. Was, in Tzulans Namen, hat er nun schon wieder vor? Er scheint sich ein wenig zu übernehmen. Aber wo will er denn noch einen Krieg anzetteln? Nesreca hörte, wie die Klinke niedergedrückt wurde und beförderte die Nachricht an ihren alten Platz. Blitzschnell drehte er sich um und lächelte in Richtung des Eingangs.
Govan erschien mit einem abwesenden Gesichtsausdruck, drückte die Tür ins Schloss und bemerkte seinen Berater erst, als er beinahe mit ihm zusammenstieß. »Oh, Mortva. Wie schön, Euch zu sehen.«
»Ich hoffe, Ihr sagt das auch noch, wenn ich mit Euch die Neuigkeiten durchgegangen bin«, unkte der Konsultant halb im Scherz, halb im Ernst. Der junge Herrscher nahm Platz und starrte ins Nirgendwo. »Was habt Ihr, Hoher Herr?«
»Ich habe vorhin ein Experiment unternommen, Mortva«, erzählte Govan schleppend. »Ich besuchte die Verlorene Hoffnung, um die nächsten Opfer für Tzulan auszusuchen. Dabei erinnerte ich mich, dass Chos Jamosar noch immer inhaftiert einsaß.«
»Einsitzt«, verbesserte der Berater gefällig.
Govans Kopf drehte sich ruckartig wie der einer Marionette, die braunen Augen betrachteten Nesreca ausdruckslos. »Einsaß«, beharrte er. »Ich fragte mich immer, was wohl passiert, wenn man ihnen die Magie raubt, wie ich es bei meinem Vater tat.« Er streckte den Zeigefinger aus und legte die Spitze an die Stirn seines Konsultanten. »Dort berührte ich den Cerêler und tastete nach seiner Gabe. Der Gabe der Bleichen Göttin.«
Nesreca bewegte sich ein wenig zur Seite, denn er wollte seinem Schützling keinerlei Gelegenheit geben, sich auch an seinen Kräften schadlos zu halten.
Govan grinste schwach. »Ihr fürchtet mich also inzwischen auch, Mortva?« Er senkte den Finger. »Ich nahm mir seine Macht. Verglichen mit der eines Zweiten Gottes ist es allerdings enttäuschend. Wie ein Schluck schales Bier nach einem guten Wein.«
»Trotzdem enthalten beide Alkohol. Und darauf kommt es Euch wohl an?«
Der Kabcar nickte. »Damit habt Ihr Recht. Ich werde alle Cerêler einsammeln lassen und in die Verlorene Hoffnung sperren, damit ich gelegentlich meine eigene Macht auffrischen kann. Der Pöbel hat sie lange genug für sich beansprucht, nun mache ich meine Rechte als Herrscher geltend.«
»Was geschah mit Jamosar?«, wollte Nesreca, der neugierig geworden war, wissen. Zudem ermöglichte das Rückschlüsse auf das Schicksal von Lodrik. Der Verdacht, dass sich der ehemalige Kabcar unter den Lebenden befand, wollte sich einfach nicht in Luft auflösen.
Govan stieß ein grausames Lachen aus. »Er starb, lieber Mortva. Er wand sich ein wenig am Boden, und als ich ihm all seine Magie genommen hatte, hörte sein Herz einfach auf zu schlagen. Ich hätte mir gewünscht, dass es ein wenig aufregender ist, wie bei Euren Helfern. Aber es war mittelmäßig. Ich werde mir mein Pensum durch die Menge verschaffen müssen, nicht durch die Qualität.« Der junge Herrscher räusperte sich und läutete nach einem Diener, der Getränke servieren sollte. Vielleicht gelingt es mir, von jedem Einzelnen immer nur einen Teil seiner Kräfte abzuziehen und sie am Leben zu lassen. Ich könnte sie wieder und immer wieder benutzen.
»Ich habe mir von unseren Rechtsgelehrten die Gesetze durchsuchen lassen, auf welche Vergehen die Todesstrafe verhängt wird. Es sind erschreckend wenig. Unsere Codices sind reichlich lasch. Das ist der Grund, weshalb das größte Gefängnis der Stadt beinahe leer ist.« Der Kabcar schaute zur Decke. »Also überlegte ich mir, dass man einige Strafen verschärfen sollte. Es beruhigt die Menschen, weil sie wissen, dass die Verbrecher keine Gnade mehr erhalten
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