Die Rache
und ich möchte lieber nicht über meine Familie sprechen.«
James war überrascht, dass seine harmlose Frage Dante so aufwühlte, und bekam ein schlechtes Gewissen.
»Keine Angst«, antwortete er beschwichtigend. »Auf dem Campus hat jeder eine Vergangenheit, und du bist nicht der Einzige, der nicht gerne darüber redet.«
Kerry hielt es für angemessen, das Thema zu wechseln, und tippte auf die CD-Kritiken in der Zeitung vor ihr.
»Und welche Musikrichtung magst du so, Dante?«, fragte sie.
Als Neil Gauche aufwachte, sah er als Erstes die Ameisen, die über den Arm vor seinem Gesicht spazierten. Sein Kopf schmerzte, in seinen Ohren klingelte es und von seiner rechten Schläfe zog sich ein blutiger Riss bis zu seiner Augenbraue.
Es grenzte an ein Wunder. Er konnte sich an alles erinnern, bis zu dem Augenblick, als direkt neben seinem Ohr die Pistole abgefeuert wurde und die Kugel sich ein paar Meter entfernt in den Boden bohrte. Dann war er bewusstlos geschlagen worden. Entweder durch einen Tritt oder, was wahrscheinlicher war, mit dem Kolben der Pistole. Aber warum?
Hatte der Commander etwa beherzigt, was Neil über den Ãrger gesagt hatte, den er bekommen würde, wenn er einen Cop tötete? Oder hatte er von vornherein vorgehabt, ihm einfach nur eine ScheiÃangst
einzujagen? Neil tastete suchend um sich und stellte fest, dass er sein Handy und seinen Geldbeutel im Mercedes des Commanders liegen gelassen hatte, als er ausgestiegen war.
Ein schmerzhafter Stich schoss durch seinen Kopf, als er sich auf den Rücken rollte und aufsetzte. Die Sommersonne stand schon hoch am Himmel; er musste fünf oder sechs Stunden lang reglos dagelegen haben, sein Arm und seine Wange trugen deutliche Spuren von Erde und kleinen Steinchen.
Durch das hohe Korn um ihn herum konnte er ohne aufzustehen nur Baumwipfel und den Himmel erkennen. Er musste aufstoÃen, und der säuerliche Geschmack von Tex-Mex-Essen, Bier und Tequila vom Vorabend erfüllte seinen Mund.
Aufgrund des Blutverlusts fühlte Neil sich schwach. Aber er schaffte es, auf die Beine zu kommen, und als er sich umsah, erkannte er, wo er war. Zweihundert Meter weit entfernt stand am Ende eines leichten Abhangs ein Haus. Die neuen Besitzer nutzten es als Feriendomizil und hatten eine Menge Geld in die Sanierung gesteckt, doch Neil hatte es zu oft auf Polizeifotos und in den Nachrichten gesehen, um es nicht zu erkennen.
Es war das Haus der Familie Scott. Der Tatort des Mordes an Familie Scott. Neil ausgerechnet hierherzubringen und eine Exekution vorzutäuschen, war eine klare Botschaft des Commanders an die Polizei: Er war sich absolut sicher, mit allem durchzukommen.
»Arrogantes kleines Arschloch«, knurrte Neil, als er auf das Haus zulief.
Während Neil Gauche mit zwei Mann Verstärkung in einer Notaufnahme in Devon wartete, war der Rest der NPBTF alarmiert worden und hatte sich noch vor neun Uhr in der Polizeiwache von Hornsey versammelt.
Als ausgebildeter Psychologe neigte Ross Johnson nicht zu starken Gefühlsausbrüchen, und so war es für viele Kollegen das erste Mal, dass sie miterlebten, wie er die Fassung verlor. Jetzt stand er brütend am Fenster, als eine schlanke Beamtin das Büro betrat.
»Kaffee«, sagte sie und stellte einen Becher auf den Schreibtisch.
»Danke, Tracy«, erwiderte Ross knapp. »Sie müssen sich mit Scotland Yard in Verbindung setzen. Die Bandits heuern Privatdetektive an. Sie wissen, dass Neils Bike hierhergeliefert wurde, und sie beobachten uns. Wir brauchen neue Räumlichkeiten, und wenn es ein rattenverseuchtes Kellerloch ist. Wir können keine verdeckten Ermittlungen durchführen, wenn der Feind unser Kommen und Gehen im Blick hat.«
»Wenn sie uns observieren, dann könnten sie auch George Kahns Identität entdeckt haben«, gab Tracy zu bedenken.
»Das ist möglich«, stimmte Ross zu. »Aber er ist erst seit drei Wochen bei uns, und hier gehen eine Menge Asiaten ein und aus.«
»Ich rufe bei der Grundstücksverwaltung an, sobald sie öffnet, und bitte um eine dringende Versetzung«, sagte Tracy. »Was passiert da unten in Devon? Wollen wir den Commander wegen des Anschlags auf Neil verhaften? Ihn vielleicht wegen Waffenbesitz anklagen?«
Ross schüttelte den Kopf. »Es wird schwer zu beweisen, wer was getan hat, besonders wenn man es mit solchen Schwergewichten von Anwälten wie denen der
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