Die Rache
vier Zimmern und lag etwa zwanzig Minuten vom Strand und dem Stadtzentrum von Salcombe entfernt. Die reiche Küstenstadt war im Sommer voller Touristen, und so hatte das Umsiedlungsbüro des Geheimdienstes ein kleines Vermögen ausgeben müssen, um das Haus zu mieten und so einzurichten, dass es zu ihrer Hintergrundstory passte.
Ihr Familienname war Raven. Chloe Raven, siebenunddreiÃig und geschieden, war aus London und von einem Ehemann weggezogen, der in der Stadt arbeitete.
Der siebzehnjährige James Raven ging in die Oberstufe. Lauren Raven war seine Schwester, die die achte Klasse besuchte. Und um jegliche Ãhnlichkeit mit seiner realen Identität zu vermeiden, war Dante zu John Raven, Laurens Zwillingsbruder, geworden.
»Der Koffer der Lady«, sagte James nun und stellte das Gepäck vor der nackten Matratze ab, auf der Lauren lag. Sie hatte ein groÃes Zimmer mit einem Balkon über dem gepflegten Garten.
»Danke«, stieà Lauren hervor und kratzte sich unter der Achsel.
»Alles in Ordnung?«, fragte James. »Du hast den ganzen Tag über kaum was gesagt.«
»Ich bin deprimiert«, verkündete Lauren dramatisch.
So hatte James seine Schwester nicht mehr erlebt, seit ihre Mutter gestorben war.
»Du wirst dich schon wieder mit Rat versöhnen«, versuchte er sie aufzumuntern, ohne dabei allzu fröhlich zu klingen. »Ihr habt euch doch schlieÃlich schon früher gestritten.«
Lauren setzte sich ruckartig auf. »Wie kommst du darauf, dass ich mich mit ihm versöhnen will? Er hat sich wie ein eifersüchtiger Trottel benommen.«
James grinste. »Nicht gerade überraschend, so wie du Dante angehimmelt hast.«
»Hab ich doch gar nicht!«, protestierte Lauren beleidigt. »Ihr Jungs seid doch alle gleich. Ihr grabt Mädels an, habt Bilder von Weibern an euren Zimmerwänden mit Titten so groà wie FuÃbälle und beschuldigt uns,
Schlampen zu sein, nur weil wir uns mit jemand anderem unterhalten.«
James hatte einfach nur nett sein wollen und keine Lust, sich in Laurens Liebesleben einzumischen.
»Wie auch immer«, sagte er beschwichtigend. »Ich bin sicher, das regelt sich irgendwie.«
Lauren schnalzte zur Antwort nur mit der Zunge, und James zog sich zurück. Unten an der Treppe sah er ihren zweiten Koffer stehen, hatte aber nicht die Absicht, ihr erneut die Arbeit abzunehmen, wenn sie ihn dafür doch nur angiftete.
»Hübsches Haus, was?«, meinte Dante, der mit einer Kühltasche voller Lebensmittel in Richtung Küche steuerte. »Hast du schon dein Bike gesehen, James? Sieht gar nicht mal so schlecht aus.«
»Oh!«, rief James. »Das hab ich ja ganz vergessen. Wo ist es?«
»Garage«, antwortete Dante. »Chloe hat den Wagen daneben geparkt.«
James rannte aus der Tür und an Chloe vorbei, die mit einer groÃen Tasche voller Gummistiefel und Regenschirme hereinkam. Er bremste ab und fragte aufgeregt: »Kann ich das Bike ausprobieren?«
»Ich wollte uns gerade etwas Tee machen, mit ein paar Keksen«, sagte Chloe. »Wenn du auch etwas möchtest ⦠?«
»Nur zehn oder fünfzehn Minuten, zum Eingewöhnen«, bettelte James.
»Na gut«, lächelte Chloe. »Aber zieh deine Schutzkleidung
an und mach langsam, bis du die Maschine sicher beherrschst.«
Lachend kam sie ins Haus.
»Was ist denn so lustig?«, wollte Dante wissen.
»Ihr Teenies«, erwiderte Chloe. »Im einen Augenblick ist James total cool und überlegen, und im nächsten strahlt er wie ein Sechsjähriger am Weihnachtsmorgen.«
»Tja, James liebt seine Bikes eben«, sagte Dante, als er hörte, wie der Motor der kleinen Maschine ansprang.
Drei Jahre zuvor war James auf einer Mission in Amerika schon ein paar Mal Motorrad gefahren. AuÃerdem hatte Terry Campbell ihn auf dem Campus herumcruisen lassen, und in den letzten sechs Tagen hatte er intensive Fahrstunden im richtigen StraÃenverkehr bekommen. Aber jetzt genoss James zum allerersten Mal das Gefühl der Freiheit auf seinem eigenen Bike.
Die 250er Honda hatte schon ein paar Jahre auf dem Buckel und nur zweiundzwanzig PS, aber für unter Einundzwanzigjährige waren stärkere Maschinen verboten. Immerhin beschleunigte das Motorrad schneller als die meisten Autos und kam auf gut hundert Stundenkilometer. Und was noch wichtiger war: James hatte auch schon gröÃere Maschinen
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