Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Sierra

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Aber ich wollte dich trotzdem bitten, dass wir beide gemeinsam noch einmal diese Exkursion durchgehen. Hast du Zeit?«
    Wie sollten sie den strahlenden Frühlingsnachmittag vergessen, den sie südlich von Carlsbad, New Mexico, verbrachten und an dem sie hinter einer so absurden Sache wie einem sprechenden Stein her waren. Weißer Bär hatte sie für Punkt fünf Uhr morgens an die Kreuzung der Interstates 62 und 285 einbestellt, in der Nähe der mexikanischen Grenze. Der damalige Gouverneur Roger Castle hatte die Einladung für das Treffen unter einer Bedingung angenommen: Er wollte, dass ihn ein Wissenschaftler seines Vertrauens begleitete. Ein Mann, der ihn dabei unterstützen könnte, das Gesehene zu beurteilen. Denn wenn er eine Lektion während seiner Politikerkarriere gelernt hatte, dann die, dass man sich immer auf Experten berufen können muss. Fachleute waren für Politiker die beste Lebensversicherung. Sie waren die Einzigen, die sie davor bewahrten, bei ihren Wählern Fehler zu begehen, und gaben zugleich die perfekten Sündenböcke ab, wenn etwas schiefging.
    Der alte Hopi hatte nichts dagegen und stellte im Gegenzug selbst eine Bedingung: Castle und sein Freund würden mit verbundenen Augen zu dem Ort fahren und dürften mit niemandem über diesen Ausflug sprechen. Weder im Voraus noch im Nachhinein.
    Castle ging darauf ein.
    Im März, als die Behörden wegen der Osterferien nur halb besetzt waren, begaben sie sich in die Obhut des Hopi-Indianers. Für Montag, den 13 . März, hinterlegte der Gouverneur eine knappe Notiz in seinem Terminplan, indem er nur den Treffpunkt vermerkte sowie eine halb ernst, halb spaßig gemeinte Nachricht an seine Assistentin, sie möge, falls er länger als 24 Stunden kein Lebenszeichen von sich geben sollte, die National Guard benachrichtigen.
    Zum Glück war das nicht nötig. Die beiden Männer zu finden hätte mannigfache Probleme aufgeworfen, vor allem weil sie drei Mal das Fahrzeug wechselten, die meiste Zeit über Privatstraßen fuhren– einfache Pisten weit abseits der Hauptstraßen– und weil sie nirgendwo mit ihren Kreditkarten bezahlten. Zuerst nahmen sie eine schwarze Limousine, dann einen Lieferwagen und zum Schluss ein altes, aber robustes Allradfahrzeug, mit dem sie eine lange Strecke querfeldein zurücklegten. Weißer Bär und seine Leute erinnerten sie immer wieder daran, dass sie nicht sehen durften, wohin die Fahrt ging. » Es ist ein heiliger Ort. Der weiße Mann ist dort nicht willkommen«, wiederholten sie einige Male. Roger und Andrew stellten diese Bedingung auch nicht infrage. Doch als man sie schließlich beim Versteck dieses verdammten sprechenden Steins aussteigen ließ, hatte man die beiden so oft im Kreis herumgefahren, dass sie diesen Ort niemals auf einer Landkarte hätten markieren können.
    Sie gingen davon aus, dass dies eine Art Bergwerk sein musste. Es war zumindest eine dunkle, kühle Grotte, die dank eines Generators erhellt wurde und die sich auf einen größeren Saal hin öffnete.
    » Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Weißer Bär, der ihr Misstrauen spürte.
    » Ihr Stein…«, flüsterte der Gouverneur ungläubig, » befindet sich hier?«
    » Genau«, bestätigte der alte Mann sichtlich zufrieden. » Sie haben ihn vor sich, Sir.«
    Einer seiner Begleiter beleuchtete einen Gegenstand, der etwa einen Meter von ihnen entfernt funkelte.
    Es war eine Art Kristall von der Größe einer Vierteldollar-Münze. Seine Ränder waren unregelmäßig, ohne sichtbare Maserung. Er war opak, schillerte wie ein Obsidian und sah aus, als wäre er vor nicht allzu langer Zeit aus einem größeren Gestein herausgebrochen worden. Wie ein kleines Stück Feuerstein. Sie beschützten ihn nicht einmal in einem besonderen Behältnis. Die Indianer hatten ihn auf ein dünnes Bett aus Laub gelegt, an einem Ort, der wie die Mitte eines Amphitheaters aussah. Bollinger und Castle bemerkten, dass fünf junge Männer um den Stein lagerten. Sie waren sehr ruhig, fast so als wären sie Statuen. Sie hielten die Köpfe mehrere Handbreit von dem Stein entfernt aufgestützt und intonierten einen kaum wahrnehmbaren traurigen, monotonen Singsang.
    » Wer sind diese Leute?«, fragte der Astrophysiker neugierig.
    Weißer Bär gab den jungen Männern ein Zeichen, zu ihnen zu treten. Als sie dies taten, waren Bollinger und Castle noch verblüffter: Der Gesang stammte nicht von den jungen Männern, sondern von dem Stein! Seine Melodie, so erklärte ihnen der alte Mann, sei