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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Sierra
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Im ersten Tageslicht erschienen die Umrisse von einem halben Dutzend Zelten, Iglu-Zelten und auch von einer Art Tipi, das wohl als Lager für Wasser und Nahrung diente. Der Wirbel unserer Rotoren führte dazu, dass der Schnee aufstob.
    » Wisst ihr, dass viele Kurden immer noch denken, man könne diesen Berg nicht besteigen?«, flüsterte Daniel durch unsere Kopfhörer. Er war gut aufgelegt. Richtig redselig.
    » Das wundert mich nicht«, antwortete ich verdrossen. Daniel blieb unerschütterlich.
    » Sie glauben, dass der Ararat von Gottes Finger berührt wurde und dass man den heiligen Schatz nicht entweihen darf, den er beherbergt«, fügte er noch hinzu, während er Diamox-Tabletten gegen die Höhenkrankheit verteilte. » Es ist hier angebracht, solche Dinge zu berücksichtigen und den Berg nicht zu beleidigen, verstehst du? Wir gehen ihn von der Südflanke aus an, von seiner freundlicheren Seite. Die Nordseite ist ein uneinnehmbarer Canyon. Dort liegt die Ahora-Schlucht oder Arghuri-Schlucht. Das bedeutet auf Armenisch ›die Pflanzung der Weinrebe‹, obwohl dort unten seit tausenden von Jahren nichts wächst. Damit du dir eine Vorstellung machen kannst: Hier am Ararat geht es noch steiler hinab als am Grand Canyon, und vor Urzeiten war er ein Vulkan…«
    Ein Anflug von Sorge ließ mich nun mein Gesicht vom Fenster abwenden. Bis jetzt hatte ich mich damit abgelenkt, zuzusehen, wie unsere Rotorblätter um das Lager herum einen Pulverschneesturm aufwirbelten, aber diese Information schreckte mich auf. Ich hob den Blick zu dem wolkenlosen Gipfel, den bereits die ersten Wolken eines herannahenden Sturmes bedrohten.
    » Und… Ist er noch aktiv?«
    » Aber nein, nein…« Daniel schüttelte den Kopf. » Er hat schon seit Jahrhunderten kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Er war bestimmt schon bei Noahs Landung ›out of order‹.«
    » Umso besser«, fauchte Ellen. » Bei einem so brüchigen Bergabhang wie diesem«, stellte sie fest, » hätte jeder Ausbruch alle Überbleibsel der Arche zerstört.«
    » Bei dem Erdbeben 1840 wäre es beinahe dazu gekommen«, rief Dujok aus dem Cockpit.
    » Erdbeben? Ist das hier auch noch ein Erdbebengebiet?«
    » Und wie! Die Zerstörung durch das Beben war fast so heftig wie der Ausbruch des Mount St. Helens. Es riss mehrere Siedlungen mit sich, brachte zweitausend Menschen den Tod und zerstörte das Jakobskloster, in dem die wichtigsten Reliquien von Noahs Schiff verwahrt wurden. Ob Sie es glauben wollen oder nicht, bis dahin gab es immer wieder Pilgerfahrten zur Arche. Es werden auch noch die Tagebuchaufzeichnungen von vielen Gläubigen aufbewahrt, die sie bestaunten und zu ihren Füßen beteten.«
    » Wirklich?«
    » Aber ja«, bestätigte Daniel. » Alle Leute hier kennen diese Geschichten oder haben von den heiligen Steinen gehört, die an Bord waren. Wen auch immer Sie befragen, alle werden Ihnen von den bedeutenden Persönlichkeiten berichten, die nach der Katastrophe Expeditionen ausschickten, um diese Schätze an sich zu bringen: Napoleon III ., Nikolaus II ., Viscount James Bryce, die CIA . Die Liste ist unendlich. Aber niemand wird Ihnen berichten, dass viele der Adamanten, die um die Welt gewandert sind, darunter auch Salomons Urim und Thummin, ohne die Erlaubnis unseres Volkes von hier weggenommen wurden.«
    » Aus der Arche?«
    » Aus der Arche, Mrs Faber.«
    Mir war schon die ganze Zeit aufgefallen, dass weder Dujok noch Daniel bezweifelten, dass an diesen Gipfeln mit dem ewigen Schnee ein mehrere tausend Jahre altes Schiff lag. Ein kolossaler Gegenstand, dessen Abmessungen die Bibel mit 300 Ellen Länge, 50 Ellen Breite und 3 0 Ellen Höhe angibt, was einem Bruttoraumgehalt von fast 42 000 Kubikmetern entspricht, und dessen Konstruktionspläne den grundlegenden Schiffsbautechniken der Vorgeschichte widersprachen. Die Arche muss wie ein gewaltiger Kasten ausgesehen haben. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte mir einfach kein Schiff vom Ausmaß der Titanic vorstellen, das kurz unter dem Gipfel eines Fünftausenders aufsetzte.
    Wenn es mich schon immer Mühe gekostet hatte, diese Geschichte zu glauben– ganz gleich ob man sie nun Noah, Utnapischtim oder Atrahasis zuschreibt–, inzwischen war ich von Zweifeln zerrissen. So wie viele andere im Abendland bin auch ich damit groß geworden, in der Schule Noahs Arche bunt auszumalen, und ich meinte Wachträume zu haben, wenn die Presse mal wieder ihre Entdeckung verkündete. In den 1980 er Jahren, als

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