Die Rache der Engel
ich noch ganz klein war, habe ich fasziniert Jim Irwins Expeditionen zum Ararat mitverfolgt. Die Nonnen in unserer Schule berichteten uns von seinen Fortschritten, und ich kann mich sogar noch daran erinnern, dass sie uns aufforderten, für diesen kühnen Astronauten zu beten, aus dem ein Archäologe geworden war. Irwin war tatsächlich einer der zwölf Amerikaner gewesen, die als Mitglieder der Apollo-Mission ihren Fuß auf den Mond gesetzt hatten. Und wenn so ein Mann sagte, die Arche existiere wirklich, hätte so ein kleines Mädchen wie ich dies doch nicht in Frage gestellt. Meine Kritikfähigkeit schlummerte damals noch und wurde erst an dem Tag geweckt, an dem ich im Radio hörte, dass seine Suche eher mystisch als wissenschaftlich begründet sei. Doch Irwin behauptete, dass es für ihn genauso wichtig sei, einen Menschen auf dem Mond spazieren gehen zu sehen, wie zu beweisen, dass Gott dies Jahrtausende zuvor auf der Erde getan habe.
Irwin scheiterte schließlich. Ihm war es nicht vergönnt, die Arche zu sehen. Seine Enttäuschung tauchte mich in tiefe Skepsis.
Und auch alle späteren Entdeckungen, über die das Fernsehen berichtete oder die in Aufmachern in den Zeitungen und hochtrabenden Erklärungen gipfelten, lösten sich schließlich in Betrugsvorwürfe oder Verdächtigungen auf. Wenn die Arche tatsächlich noch unter dem Ararat lag, dann hatte sie bislang jedenfalls niemand entdeckt.
Oder etwa doch?
Irgendetwas sagte mir, dass ich bald von meinen Zweifeln befreit werden würde.
Um halb zehn hielten Daniel und Artemi Dujok den Zeitpunkt für gekommen, den Aufstieg zur Arche zu wagen.
Ich glaube, mir war von Anfang an klar, dass nicht der Berg an sich das Schlimmste sein würde. Unsere wahren Feinde würden der Nebel, der eisige, schimmernde Schnee, der sich unter unseren Füßen erstreckte, und vor allem die fehlende Akklimatisierung sein. Jeder erfahrene Bergsteiger weiß, wie wichtig eine Unterbrechungsphase auf einer bestimmten Höhe ist, damit sich die Lungen an den fehlenden Sauerstoff und an die Druckverhältnisse anpassen. Zeit, die wir nicht hatten und die ich vermisste, sobald ich spürte, wie mich das Seil, das sie uns als minimale Sicherung um die Hüfte geschlungen hatten, nach oben zog.
Dujok führte die Gruppe mit entschlossenen Schritten an, während mein Herzrhythmus aus dem Takt geriet.
Der Armenier stapfte zielsicher voran, dabei hielt er einen langen Stock, mit dem er die Festigkeit der Schneedecke unter uns auslotete. Er ging mit der Überzeugung, die nur jemand haben konnte, der diesen Weg aus Erfahrung kannte. Als ich ihn dort so sah, schweigsam, in sich versunken und den Blick auf das gespenstische Weiß gerichtet, das unseren Horizont bildete, fiel mir wieder ein, wie dumm ich gewesen war. Dieser Mann hatte mich hierher verschleppt und mich dabei glauben gemacht, wir beide hätten die Spur zusammen entdeckt, die zu meinem Mann führte. Ich war so dumm gewesen! Beklemmung befiel mich, als ich mir klarmachte, dass Martin zu derlei imstande gewesen war. Er hatte sogar mein Leben aufs Spiel gesetzt, nur um seine merkwürdigen Obsessionen zufriedenzustellen!
Martin.
Wie würde er auf mich reagieren? Würde er mir endlich ins Gesicht sehen? Würde er mir den tieferen Sinn der ganzen Sache erklären? Aber wie?
Hinter dem Armenier schleppte sich erschöpft Ellen vorwärts. Sie klagte schon seit einer Weile über starke Kopfschmerzen, aber niemand kümmerte sich darum. Auf sie folgte Waasfi, und mir dicht auf den Fersen bildeten Daniel und Haci den Abschluss der Seilschaft. Sie zogen einen Aluminiumschlitten hinter sich her, der mit Ausrüstung und Nahrungsmitteln bepackt war.
Wir kamen nur sehr langsam voran und setzten unsere Füße in die Spuren, die Dujok im Schnee hinterließ. Doch trotz der Spannungen am Vorabend und meiner wachsenden Zweifel herrschte nicht nur schlechte Stimmung. Hinter mir beispielsweise schnaufte der Okkultist zwar vor Anstrengung, plapperte aber unaufhörlich. Er war glücklich wie ein Kind.
» …Die Etymologie der Ortsnamen in dieser Region bestätigt, dass es dieser Berg und kein anderer ist, an dem Noah gelandet ist«, keuchte er, von der Höhenluft ermattet. » An der Nordseite, bevor man zu der gewaltigen Schlucht gelangt, gibt es eine Siedlung, die Masher heißt. Das bedeutet ›der Tag des Jüngsten Gerichts‹.« Nun musste Daniel wegen der eiskalten Luft hüsteln. » Auf armenischer Seite heißt die Hauptstadt Jerewan, und man sagt, dass
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