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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Sierra
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visionada.«
    Als ich die Szene noch einmal betrachtete, befielen mich düstere Vorahnungen.
    » Ich sage Ihnen jetzt, was ich glaube, Julia. Ich denke, die letzten vier Worte enthalten den Schlüssel. ›Se te da visionada.‹ Sagt Ihnen das etwas? Können Sie sich daran erinnern, ob Ihr Mann diesen Satz schon früher einmal gesagt hat? Vielleicht an einem bestimmten Ort oder in einer bestimmten Situation, die uns einen Hinweis darauf liefern kann, wo der Stein versteckt ist?«
    » Soll das eine ernst gemeinte Frage sein?«, erwiderte ich.
    » Selbstverständlich. Martin scheint Ihnen mit ›se te da visionada‹ sagen zu wollen, dass dies den Weg oder die Richtung vorgibt, wie Sie ihm wieder begegnen können.«
    » Vielleicht meint er meine besondere Gabe.«
    » Das wäre zu einfach.«
    » Vielleicht ist es auch ein Wortspiel? Martin liebt Wortspiele.«
    » Das könnte sein. Reichen Ihnen Papier und Stift, um mit den Buchstaben etwas herumprobieren zu können?«, fragte der Amerikaner und holte ein paar Blätter und einen Filzstift aus seiner schwarzen Mappe.
    Bevor ich sie an mich nehmen konnte, kehrte der Strom zurück und entlockte den Elektrogeräten im Café leise Seufzer. Der Zigarettenautomat am Eingang schaltete sich wieder ein. Die Kaffeemühle brummte tief. Und selbst die Kühlschränke schnurrten erleichtert. Doch der Eindruck war trügerisch. Gleich darauf schaltete sich alles schon wieder aus, als wäre ein schalkhafter Geist zugange, und wir saßen wieder im Dämmerlicht.

22
    Irgendetwas passierte mit der phosphoreszierenden Wolke, die über den drei Fremden schwebte. Der Jüngste der Gruppe bestaunte sie, überrascht, dass sich ihr Aussehen genau in dem Augenblick veränderte, als der Scheich befahl, die Plastiktasche zu öffnen, die er geschultert hatte. » Wir werden Amrak aktivieren«, waren seine Worte gewesen.
    Fast sofort begann das, was da am Himmel über der Altstadt von Santiago schwebte, sich gleichermaßen zu verdichten und auszudehnen, es zuckte spastisch, so als verberge es in seinem Inneren ein Lebewesen, das darum kämpfte, einer langen Gefangenschaft zu entkommen. Ein Wesen, das auf den Inhalt der Tasche reagierte. In der Tat, sobald der junge Mann bemerkte, dass erneut die Lichter an der Plaza de Platerías erloschen, zweifelte er nicht mehr, dass auch dies Sache des » Monstrums« sei. Er wusste, dass die Wolke alle nur verfügbare Energie benötigte, um wirksam werden zu können. Auch seine eigene, wenn es nötig sein sollte.
    » Seid ihr bereit?«, fragte der Scheich.
    Der junge Mann namens Waasfi, der einer der bedeutendsten Familien Armeniens entstammte, nickte. Ebenso wie sein Gefährte, ein Berufssoldat, der seit dem Fall des sowjetischen Jochs bei zahllosen Gefechten in seinem Heimatland abgehärtet worden war.
    Dann begann der Scheich ein spezielles Ritual. Ohne die Tasche auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen, streckte er seine Hände aus und beugte sich darüber.
    Sofort kamen aus dem Inneren der Tasche der feine Duft und die Brise, die seinen Kontaktversuchen mit der Essenz des Gegenstandes, den er so behutsam behandelte, immer vorausging. Er hatte den Eindruck, dass die Tatsache, ihn so in die Nähe von Julia Álvarez gebracht zu haben, ihm helfen würde, einen alten Kreis zu schließen: Amrak– so sein Name für diese Reliquie– würde endlich beweisen, wozu es imstande war.
    Wortlos stellten sich seine Begleiter um ihn herum auf und begannen, mit geschlossenem Mund einen monotonen, anhaltenden Ton von sich zu geben. Mmmmmmmmmm. Der Scheich hatte sie gelehrt, ihren Brustkorb als Resonanzkörper einzusetzen, um Amrak zu wecken. Diese Technik war nicht so abwegig, wie es erschien. Tatsächlich fußte sie auf einer festen wissenschaftlichen Grundlage. Amrak bestand aus einem Mineral, dessen Atome sehr präzise hexagonale Strukturen bildeten. Wenn diese Nuklearstruktur von Tönen der gleichen Frequenz getroffen wurde, konnte es zu einer Resonanz kommen. Nichts anderes passiert, wenn ein Tenor vor einem Glas eine hohe Note singt: Die Energie seiner Stimme durchdringt die Struktur des Glases und lässt es von innen bersten.
    Das passierte mit der geheimnisvollen Reliquie freilich nicht, doch schon im nächsten Augenblick ertönte ein leichtes Summen aus der Tasche. Anfangs war es kaum vernehmbar, aber bald vibrierte es immer stärker und erfüllte die Männer mit der nötigen Gewissheit.
    Ihr Anführer verharrte zuversichtlich in seiner Position, ohne die

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