Die Rache der Engel
mit den Falten, all das ist typisch für die Kaufleute der Renaissance.«
» Weiß man, wer dieser Mann war?«
» Selbstverständlich«, erwiderte ich. » Wir kennen seinen Namen und auch ein wenig von seiner Geschichte. Wenn Sie sich über den oberen Teil beugen, können Sie ihn selbst auf dem Band lesen, das in das Kissen skulptiert ist: Ioan d’Estivadas, also Juan de Estivadas. Aber kurioserweise ist der Name rückwärts geschrieben. Wie verschlüsselt. Können Sie es sehen?«
» Sad-av-itse-d-na-oi. Io-an-d-Esti-va-das…«, buchstabierte Dujok, während seine Fingerkuppen über die Inschrift glitten.
Der Armenier schwieg eine Weile, während er über die Buchstaben strich. Ich hatte den Eindruck, dass er scharf nachdachte. Er trommelte auf dem Schriftband herum. Er betrachtete es von rechts nach links und dann wieder von links nach rechts. Er pustete sogar über die Buchstaben, wobei er etwas Staub aufwirbelte. Als er damit fertig war, strahlte Dujok vor Befriedigung über das ganze Gesicht.
» Mrs Faber«, verkündete er nach einem Hüsteln feierlich, » jetzt weiß ich genau, was Ihnen Ihr Ehemann mit dem zweiten Hinweis in seiner Botschaft mitteilen wollte.«
46
Der Präsident fällte kurz vor Mitternacht seine Entscheidung.
Zu dem Zeitpunkt setzte ihn sein Dienstwagen– weit weg von der stets wachsamen Presse– am Sitz der NSA in Fort George Meade ab, nördlich der Hauptstadt.
» Guten Abend, Mr President!«
Ein Beamter öffnete mit ernster Miene den Wagenschlag der Limousine. Die vier Bodyguards betraten das Gebäude zuerst. Die persönliche Assistentin und der Stabschef folgten dem POTUS – so das Akronym für President of the United States– auf dem Schritt, sobald man ihnen mitteilte, dass keine Gefahr drohe. Der neueste Bericht in ihren Aktenmappen, den die Berater aus Madrid geschickt hatten, sagte turbulente Zeiten voraus.
» Director Owen erwartet Sie bereits, Mr President.«
» Es ist eine Ehre, Sie bei uns begrüßen zu dürfen, Mr President.«
» Willkommen bei der NSA , Mr President.«
Mit jedem Schritt durch dieses Labyrinth von Büros, Besprechungszimmern und Hochsicherheitsräumen wurden die Begrüßungen milder. Nur Michael Owen, der Afroamerikaner mit dem undurchdringlichen Blick und den formvollendeten Manieren, der ihn in der Schaltzentrale im obersten Stockwerk erwartete, wirkte verstimmt.
Owen war der Dobermann, der über die Geheimnisse der Nation wachte. Er zeigte niemals gute Laune. Seine Untergebenen dachten, dies liege daran, dass er sich mit den Beschränkungen seiner Beinprothese nicht abfinden konnte, aber das war nicht der wirkliche Grund. Zumindest nicht in dieser Nacht. Er hatte wegen seines nach Europa entsendeten Agenten wach bleiben müssen. Dass ihn der Präsident ausgerechnet zu dieser Unzeit sehen wollte, hatte ihm gerade noch gefehlt. » Bei allen Heiligen«, hatte er vor sich hin gemurmelt, während er sich seine Wartezeit damit vertrieb, Kreise um seinen Schreibtisch zu ziehen. » Haben sich denn heute alle gegen mich verschworen?«
Als Präsident Castle schließlich an seine Tür klopfte, bot er ihm einen Platz auf einem der Sofas an, schenkte ihm einen starken Kaffee ein und machte sich auf das Schlimmste gefasst.
Castle sagte nur drei Worte. Die drei Worte, von denen er besessen war.
» Das große Geheimnis.«
Owen schluckte.
» Also, Michael«, legte der Präsident dann los, ohne von dem Kaffee auch nur zu probieren. » Ich hoffe, Sie haben die Dokumentation vorbereitet, um die ich Sie gebeten habe.«
» Sie haben mir nur eine Stunde Zeit gegeben, Mr President.«
» Mehr als Sie dafür benötigen. Ich will wissen, in welchem Stadium sich das… Wie nennen Sie das noch mal? In welchem Stadium sich das Elias-Projekt befindet.« Der Blick des POTUS war gleichermaßen überlegen und herausfordernd. Die New York Times hatte diesen souveränen Blick berühmt gemacht, denn jedes Mal, wenn es zu einer Krise kam, veröffentlichte sie ein entsprechendes Porträt des Präsidenten. » Fällt es Ihnen denn so schwer, einen klaren Befehl auszuführen? Ich dachte, seit den Attentaten in Tschetschenien ist klar, welches Vorgehen ich von dieser Behörde erwarte.«
» Sir, in der Zeit kann man kaum…«
» Wissen Sie, Michael«, fiel ihm Castle mit vorgeblicher Milde ins Wort, » ich bin nun seit fünfundzwanzig Monaten im Weißen Haus und lese Ihre verdammten täglichen Berichte über die nationale Sicherheit. Sie sind alle sehr gewissenhaft
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