Die Rache der Flußgoetter
beleidigt haben.«
»Hochverehrter Gavius, mein Bericht wird in allen Einzelheiten auflisten, wie wir Vater Tiber im einzelnen erzürnt haben.«
Der Junge kehrte zurück, Gavius beugte sich zu ihm herab, und der Lakai flüsterte ihm etwas ins Ohr. In diesem Tempel sprachen alle leise. Der alte Mann richtete sich wieder auf. »Das ist seltsam. Man berichtet mir, daß Harmodias zu den Feldern am Westufer des Tiber aufgebrochen ist, um dringend benötigte Heilkräuter zu sammeln. Seither wurde er nicht mehr gesehen.«
»Wann war das?«
»Gestern nachmittag.«
»Das ist in der Tat merkwürdig«, sagte ich und dachte, daß es überhaupt nicht merkwürdig war. Er war direkt nach unserem Gespräch geflohen, weil er Angst hatte, daß seine Mittäterschaft bei der Ermordung des Sklaven entlarvt werden würde. Ich verabschiedete mich von dem alten Mann und verließ den Tempel durch das breite Portal.
Eine Weile stand ich müßig auf dem Absatz der Treppe. Es gab Zeiten, in denen ich es schwierig fand, an die Götter zu glauben, weil sie mir vorkamen wie die kindischen Schöpfungen ängstlicher Bauern, die verzweifelt versuchten, Kräfte zu beherrschen, die sie nicht verstanden. Dann wieder schienen mir die Götter ganz nah. Und der Zustand des Flusses ließ sie fürwahr besonders nah erscheinen.
Ich fragte mich, was die Götter von uns wollten und ob sie wirklich zufrieden waren mit den Bestechungsgaben, die wir ihn darboten; all die Bullen und Eber, die Schafböcke, Pferde und Vögel, gelegentlich sogar einen Hund. Fanden sie das wirklich erbaulich, oder war es für sie bloß Blut, Federn und Qualm?
Jedes Jahr im Mai warfen die Vestalinnen als Opfer für Tiberinus 24Strohpuppen von der Pons Sublicius und flehten ihn an, nicht über seine Ufer zu treten. In früheren Zeiten waren es Menschenopfer gewesen, und ich dachte, daß wir vielleicht zu der ursprünglichen Praxis zurück kehren sollten. Ein paar Kandidaten für die ersten 24 Opfer wußte ich schon. Ein plötzlicher Lärm schreckte mich aus meinen Träumereien. Der alte Sklave hatte einen weiteren Scheit auf einen der bronzenen Roste geworfen. Wieder stob eine Funkenwolke gen Himmel.
»Warum verbrennst du so viel teures Holz, alter Mann?« fragte Hermes ihn. »Es ist doch sowieso kaum einer hier, der es sieht.«
»Der Mann, der den Tempel restauriert und diese feinen Roste hier gespendet hat, hat dafür bezahlt, daß darin fünf Jahre lang Nacht für Nacht erstklassiges Brennholz verfeuert wird.«
»Das ist mehr als großzügig«, bemerkte ich. »Ist es zu Ehren des Gottes? Wurde der Mann hier geheilt?«
Der alte Sklave warf mir ein zahnlückiges Lächeln zu, das abgrundtief zynische Grinsen eines wahren Römers. »Wenn du mich fragst, wollte der reiche Knacker nur sicherstellen, daß jeder seinen Namen lesen kann, egal, wie spät es ist.«
Er wies mit dem Daumen nach oben, und unsere Blicke folgten ihm. Auf dem breiten flachen Giebeldreieck prangte, umrankt von dekorativen Ornamenten und kleineren Inschriften, durch die Flammen wunderbar erleuchtet, ein Name, und zwar in riesigen Buchstaben, wie es das Recht eines Mannes war, der ein öffentliches Gebäude restauriert hatte:
M. VAL. MESSALA.
Das erklärte einiges. Messala, der große Wohltäter des Tempels, würde den Laden eine Weile geleitet haben, so daß es nicht schwierig für ihn gewesen sein konnte, so viele niederrangige Priester zu bestechen, wie man brauchte, um einen Mord im Tempel zu begehen und anschließend die Leiche loszuwerden.
Auf der Inselseite der Pons Fabricius blieben wir stehen.
»Was war das eben von wegen Sondergerichtshof?« wollte Hermes wissen.
»Wenn ich sie nicht vor dem Gerichtshof des Praetors anklangen kann, wenn die Korruption schon so weite Kreise zieht, daß ich vor einem Geschworenengericht keinen Schuldspruch erwirken kann, werde ich sie eben vor einem religiösen Gericht anklagen. Die Urteile sind so bindend wie die jeder zivilen Kammer, und die Strafen sind viel schlimmer, keine Bußgelder von der Durchschlagskraft eines Klaps auf die Finger oder vorüber gehendes Exil. Für Vergehen, die die Götter gegen das ganze römische Volk aufbringen könnten, haben Catos geliebte Vorfahren ein paar wahrhaft barbarische Strafen festgelegt.
Die Flut wird katastrophale Ausmaße annehmen, und die Versammlun-gen werden als Tribut für ihre Not Blut sehen wollen«, machte ich mir selbst Mut.
»Das wird aber ein paar Reden nach dem Geschmack der Massen erfordern «, meinte
Weitere Kostenlose Bücher