Die Rache der Flußgoetter
darunterdurchdringen, er wurde nach dem Einstich auch noch ein gutes Stück nach oben gezogen. Das erfordert einen kräftigen Mann.«
»Ja, das nehme ich auch an«, stimmte er mir nickend zu.
»Und es ist dir damals nicht in den Sinn gekommen, auf diesen Umstand hin zu weisen?« fragte ich verzweifelt. »Eine Hure kann einen Mann leicht umbringen, aber zunächst einmal sorgt sie dafür, daß er seine Kleider ablegt, sich entspannt und keinen Verdacht hegt. Dann kann sie ein winziges Messer in seine Jugularvene stechen oder ein Stilett in sein Herz stoßen, und er stirbt, praktisch ohne es zu merken!«
»Ja, das klingt vernünftig. Aber mein alter Freund, ich wurde gerufen, um dem Mann meine Hilfe zu gewähren, aber ich konnte nicht mehr viel für ihn tun. Ich bin nie von einem Ermittler befragt worden.« Und damit war der Fall für Asklepiodes erledigt.
Ich seufzte. Manchmal fragte ich mich, ob ich der einzige Mensch auf der Welt war, der so dachte wie ich. »Nun, du hast deine Pflicht gewissenhaft, wenn auch ein wenig verspätet, erledigt. Danke. Ich danke dir.«
»Es ist mir stets ein Vergnügen, dem Senat und dem Volk behilflich zu sein«, versicherte er mir und zog los, um zu seiner nächtlichen Begleitung zurück zu kehren, wahrscheinlich irgendein hübscher geschminkter Knabe. Er war schließlich Grieche.
»Ich hoffe, du hast fleißig die Ohren offen gehalten«, sagte ich zu Hermes. Er kaufte gerade bei einem Händler ein kleines Bündel Fackeln.
»Ja, obwohl diese Tänzerinnen meine Augen sehr angestrengt haben.«
Er entzündete eine der Fackeln an einem Wandleuchter und ging in Richtung Brücke voran. »Die Beschreibung dieser Hure Galatea paßt auf das arme, ausgepeitschte Mädchen, das wir in der Insula gesehen haben.«
»Der Gedanke war mir auch schon gekommen. Andromeda hat gesagt, sie hätte einen hiesigen, aber keinen römischen Akzent gehabt. Bovillae liegt etwa dreißig Meilen die Via Appia hinunter, und die Leute dort sprechen fast wie Römer. Und dieser Rausschmeißer Antaeus -«
»War der große Sklave«, nahm Hermes den Faden wieder auf. »Er hat sich hinter der Tür versteckt. Dort war genug Platz, und es gab kein Fenster zur Hofseite, durch das jemand hätte beobachten können, was in der Kammer vor sich ging.«
»Du hast tatsächlich von mir gelernt, Hermes!« lobte ich.
Manchmal war der Junge doch wert, was er aß, trank und stahl.
»Lucilius muß direkt nach seinem Eintreten angegriffen und niedergestochen worden sein. Dann haben der große Sklave und das Mädchen die Kammer getrennt und in einigem Abstand verlassen. Bei all dem Kommen und Gehen dort wäre das niemandem aufgefallen.«
»Deswegen haben sie ein paar Tage vor dem Mord angefangen, dort zu arbeiten!« rief Hermes aufgeregt. »Sie mußten schon lange genug dortsein, damit sie niemandem auffielen, und sie mußten einen geeigneten Raum für die Tat auswählen. Sie haben sich für einen im obersten Stockwerk entschieden, mit reichlich Platz hinter der Tür und ohne Fenster in der Vorderwand! Der große Mann ist schon früher hinauf gegangen, damit er, wenn jemand klopfte, von drinnen rufen konnte, daß der Raum besetzt war.«
»Du lernst zu denken wie ein Verbrecher, Hermes, aber das liegt dir vermutlich im Blut. Jetzt frage ich mich, wer der Mann in dem Umhang gewesen sein könnte und warum Lucilius mit Galatea nach oben gegangen ist.«
»Der Mann mit der Kapuze war wahrscheinlich Folius«, sagte Hermes. »Das Mädchen und der große Sklave gehörten ihm. Und was die Frage angeht, warum er mit Galatea nach oben gegangen ist, ich weiß jedenfalls, warum ich mit ihr nach oben gegangen wäre.«
»Das bezweifle ich nicht. Aber du solltest dich nicht immer auf die naheliegendste Lösung stürzen«, ermahnte ich ihn. »In diese Sache sind zu viele Leute verwickelt.«
»Was dann?«
»Ich dachte gerade an die letzten Worte des sterbenden Lucilius.« Vor uns sah ich auf der Brüstung der Pons Sublicius Fackeln brennen, die Leute beobachteten noch immer den bedrohlichen Anstieg des Flusses. »›Dreckiger Hund‹, meinst du? Was … ach so, ich verstehe …«
Der Junge hatte noch viel zu lernen. Erst jetzt war ihm auf gegangen, was mir schon in dem Augenblick klargeworden war, als Asklepiodes es gesagt hatte. Der griechische Arzt, dessen Ohr bezüglich der lateinischen Sprache nicht so perfekt geübt war, wie er es selbst gerne darstellte, hatte die zwischen zusammen gebissenen Zähnen heraus gestoßenen letzten Worte des
Weitere Kostenlose Bücher