Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
hatte das rotblonde Haar seiner Mutter geerbt, und ihre feinen, stolzen Gesichtszüge schimmerten in seinem Jünglingsgesicht durch – nur, dass sie bei ihm zudem kühn wirkten. Dazu kamen seine ausdrucksvollen blauen Augen. Henry hatte gegen Richard schon als Kind immer ein bisschen farblos gewirkt. Bereits als Junge im Alter von acht Jahren – damals hatte Matilda Richard bei einem Bankett zum letzten Mal gesehen – hatte er ein großes Selbstbewusstsein und eine flirrende Lebendigkeit besessen. Diese Eigenschaften hatten sich mit den Jahren noch verstärkt. Er gehörte eindeutig zu den Menschen, die andere kraft ihrer Persönlichkeit verzaubern konnten.
Ja, sie hatte die richtige Wahl getroffen, auf ihn zu setzen. Auch ihre Entscheidung, den Aufstand zu unterstützen, war richtig gewesen. Matilda fasste in den Ausschnitt ihres seidenen Nachthemdes und zog ein kleines goldenes Kreuz heraus, das an einer Kette hing. Es war warm von ihrem Körper. Im Licht der Kerzenflammen schimmerte der rote Stein auf dem Gold wie ein Blutstropfen.
Wenn der Aufstand erfolgreich war, würde es ihr mit Richards Hilfe gelingen, sich an ihrem Vater und William de Thorigny zu rächen. Falls er scheiterte und der König ihren Pakt mit dem Bruder entdecken sollte, würde sie eben ihre Strafe tragen. Ja, jede Art von Strafe ist besser, als tatenlos zu bleiben und keine Vergeltung zu suchen , dachte sie traurig und gleichzeitig von bitterem Zorn erfüllt.
Matilda umschloss das Kreuz so fest, dass ihr die Kanten in die Haut schnitten. Eine Weile hielt sie es noch so, während sie weiter vor sich hin sann. Erst als sie zu Bett ging, verbarg sie es wieder unter ihrem Hemd.
*
William de Thorigny schob sich ein weiteres Stück von der gebratenen Forelle in den Mund. Der Fisch war mit Dill, Wermut, Wacholder und einer Spur Anis und Safran verfeinert. Ja, der Koch des Königs leistete wirklich ausgezeichnete Arbeit! Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um den Blick über die Halle der Burg von Bayeux mit ihren alten, rauchgeschwärzten Deckenbalken und den mit leuchtenden Farben bemalten Wänden zu genießen.
Dort unten an den Tischen saßen die niederen Adligen. Er dagegen hatte seinen Platz an der Tafel des Königs, die mit feinen Leinentüchern und vergoldetem und versilbertem Geschirr gedeckt war, wo dicke Bienenwachskerzen in schweren Leuchtern brannten und ihren süßen Duft verströmten – und wo es das raffiniertere Essen gab. Es hatte William viel Mühe gekostet, hier oben auf dem Podium bei den wirklich Mächtigen sitzen zu dürfen, und er hatte nicht vor, sich jemals wieder von hier vertreiben zu lassen.
Als William zu Henry blickte, musste er ein Lächeln unterdrücken. Der König hatte bisher kaum ein Wort gesprochen. Sein eckiges Gesicht mit dem dunklen Bart war stark gerötet. Er aß schnell, und auch dem Wein hatte er viel zu sehr und viel zu hastig zugesprochen. William mochte die beiden Königssöhne nicht besonders. Vor allem Richard konnte er nicht leiden. Er war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass er ihn um seine Attitüde, die ganze Welt liege ihm, dem königlichen Prinzen, wie selbstverständlich zu Füßen, beneidete.
Aber die Kaltblütigkeit, mit der die Brüder vor ihrem Vater geflohen waren und ein Heer gegen ihn aufgestellt hatten, erregte durchaus Williams Bewunderung. Tagelang hatte der König danach getobt. Wobei natürlich auch der Einfluss der Königin Eleonore auf die jungen Männer nicht zu vernachlässigen war. Wie auch immer – William ließ sich von einem Diener ein Stück helles Brot reichen –, durch den Schachzug der beiden Prinzen war unversehens Bewegung in das große Spiel der Macht gekommen. Und er gedachte, davon zu profitieren.
Ein Klirren zerschnitt die Musik der Spielleute, als der König plötzlich sein Messer vor sich auf den Tisch warf. Einige Momente stierte er vor sich hin, dann wandte er sich den Männern an seiner Tafel zu. Seine braunen Augen waren blutunterlaufen. »Vor einigen Stunden habe ich erfahren, welche Vasallen von mir abgefallen und zu meinen verdammten Söhnen übergelaufen sind«, sagte er mit schwerer Stimme.
»Sir, um welche Männer handelt es sich denn?«, wagte schließlich Robert, der Bischof von Lisieux, das Wort zu ergreifen. Er konnte sich dies noch am ehesten erlauben, ein würdevoller Mann mit schönem schlohweißem Haar und feinen, würdevollen Gesichtszügen.
»Die Grafen von Breteuil, Beaumont und Montagne«, zählte
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