Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
Yvain und das Kind dicht unter ihr. Vorsichtig ließ sie sich auf eine breite Astgabel gleiten. Ihre Beine baumelten im Wasser. Adela schlang sie um den Stamm, was ihr einen einigermaßen festen Halt verschaffte. Sie streckte sich vor. Ihre Finger strichen über den Rücken des Jungen, dann konnte sie ihn am Ausschnitt seines Kittels packen. Yvain ließ ihn los. Trotz des Sogs der Strömung gelang es ihr, das Kind auf ihren Schoß zu ziehen. Mit einem erstickten Aufstöhnen krallte sich Yvain nun mit beiden Armen an dem Ast fest.
Einen Moment lang glaubte Adela, der Junge würde nicht mehr atmen. Doch dann spürte sie, wie sich seine kleine Brust hob und senkte. Er lebt, ging es ihr erschöpft durch den Kopf.
Die Stimmen waren jetzt ganz nah. Eine Frau schrie jammernd auf. Verschwommen nahm Adela wahr, dass ein Strick durch die Luft flog und Yvain ihn packte. Arme griffen nach ihr und dem Kind. Willenlos ließ sie sich ans Ufer ziehen.
*
In der Themse herrschte Ebbe. Öde und morastig wand sich das Flussbett durch die flache Landschaft. Unter einem wolkenverhangenen Himmel sah Ann, während sie neben Simon und Luce herritt, die Mauern des Klosters von Barking.
Ihre Flucht vor William de Thorigny war anstrengend und aufreibend gewesen. Trotzdem war Ann während der drei Wochen, die sie für den Weg benötigt hatten, so glücklich gewesen wie schon lange nicht mehr. Das Kloster erschien ihr plötzlich wie ein Gefängnis. Nur zu bald, für Anns Empfinden, erreichten sie das Tor.
»Simon de Bohun …« Mit einem strahlenden Lächeln eilte die hübsche Pförtnerin ihnen entgegen. »Wie schön, Euch wiederzusehen. Und Begleitung habt Ihr auch mitgebracht.« Sie nickte Ann und Luce freundlich zu. »Unsere Äbtissin hält sich in ihren Räumen auf. Wenn es Euch recht ist, bringe ich Euch sofort zu ihr.« Sie winkte einen Knecht herbei, der sich der Pferde annahm.
Während sie über einen gepflasterten Hof und an einer Kirche vorbeischritten, unterhielt sich die Pförtnerin angeregt mit Simon. Sein Charme weiß anscheinend jede Frau zu bezaubern, dachte Ann resigniert.
Auch Äbtissin Matilda begrüßte Simon herzlich wie einen alten Freund. Sie bat ihn, Ann und Luce, der sich, wie schon während ihrer Flucht, sehr wohlerzogen und beflissen verhielt, in ihr Schreibzimmer. Simon berichtete ihr rasch, was sich in Bellême zugetragen hatte. Matilda lauschte ihm konzentriert und stellte ihm dann einige präzise Fragen.
Matilda verhält sich mehr wie eine Fürstin als eine Äbtissin, ging es Ann durch den Kopf. Wahrscheinlich ist sie nicht besonders fromm. Aber anders als Äbtissin Héloise lässt sie die Dinge in ihrem Kloster bestimmt nicht schleifen. Nein, hier in Barking war es für die Ordensfrauen bestimmt nicht leicht, ihre eigenen Wege zu gehen.
Als Simon seinen Bericht beendet hatte, wandte sich Matilda Luce zu. »Es war sehr dumm von dir zu versuchen, William de Thorigny zu töten«, sagte sie streng. Luce zog die Schultern hoch und sank ein wenig in sich zusammen. »Aber es war auch mutig.« Ein Lächeln breitete sich auf Matildas Gesicht aus. »Du bist alt genug, um als Knappe bei einem Ritter zu dienen. Wärst du denn gerne ein Knappe? Wenn ja, finde ich bestimmt einen Ritter, der dich aufnimmt.«
»Ja, ich wäre sehr gerne ein Knappe.« Ein erleichtertes Grinsen breitete sich auf Luces Gesicht aus, das sich gleich darauf wieder abschwächte, als er besorgt fragte: »Falls Simon mich besuchen kann …«
»Ganz bestimmt ist das möglich.« Matilda nickte.
Unwillkürlich blickte Ann Simon an. Während der Tage auf der Flucht waren sie sich so nahe gewesen. Und nun würde er bald ganz aus ihrem Leben verschwinden. Er wird andere Frauen kennen lernen, sie verzaubern und für sich gewinnen, davon war sie überzeugt. Mich dagegen wird er nur zu bald vergessen …
Plötzlich bemerkte Ann, dass Matildas Blick forschend auf ihr ruhte. »Schwester Fidelis, Ihr könnt nicht mehr in Euer bisheriges Kloster zurück. Vor Gott seid Ihr damit der Gelübde, die Ihr auf jenes Ordenshaus abgelegt habt, entbunden. Falls Ihr um Aufnahme in mein Kloster bittet, werde ich Euch herzlich aufnehmen«, sagte sie.
»Ja, ich bitte um die Aufnahme«, erwiderte Ann. Selbst in ihren eigenen Ohren hörte sich ihre Stimme brüchig an.
»Gut, dann wäre das geregelt.« Matildas Miene war undurchschaubar. »Ich schlage vor, dass Ihr dann sofort Euren Platz in unserem Kloster einnehmt, damit Ihr Euch möglichst schnell hier einfügen
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