Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
könnt.«
*
Schweigend ritt Adela neben Yvain her. Er hatte darauf bestanden, dass sie sich in den Sattel des Pferdes setzte, während er das Tier am Halfter führte. Die Dörfler hatten sie beide in den Ort gebracht, sie mit trockener Kleidung versorgt und sich darum gekümmert, dass sie sich aufwärmten. Alles hatte Adela wie durch einen Schleier wahrgenommen, denn ständig peinigte sie die Erinnerung daran, wie sie fast versucht hatte, Robin mit sich ins Wasser zu nehmen. Ich bin ein Monster … Eine entsetzliche Kreatur, die kein Recht mehr hat zu leben … Warum nur habe ich damals gegen das Ertrinken angekämpft? , warf sie sich wieder und wieder vor.
Adela schreckte erst aus ihrem Brüten auf, als Yvain das Pferd vor ihrer Hütte zum Stehen brachte und ihr beim Absteigen half. Sie fröstelte. Auf einer Wiese in der Nähe flatterte Wäsche in der Luft. Zwei Knechte fuhren Schubkarren voller Dung zu den Feldern. Aus der Küche konnte Adela rhythmisches Klopfen hören – die Köchin oder eine Magd bearbeitete einen Teig. Alltägliche Dinge, die ihr im Laufe der letzten Monate vertraut und plötzlich wieder fremd geworden waren.
»Es war sehr unvorsichtig von Euch, Euch in die Weidenkrone und in den Bach hinauszuwagen.« Ein seltenes Lächeln erhellte Yvains herbes Gesicht. »Aber ich weiß nicht, ob ich mich und den Jungen noch lange mit nur einem Arm hätte festhalten können.«
»Ich …« Adela wandte ihren Blick ab. »Einige Wochen, bevor mich die Schiffer schließlich fanden, wollte ich mich töten. Ich habe eine Tochter. Ich habe sie mit ins Wasser genommen und hätte sie fast umgebracht.«
»Aber Euer Kind wurde gerettet?«, fragte Yvain nach einer, wie ihr schien, langen Pause.
»Irgendetwas veranlasste mich dazu, sie wieder ans Ufer zu bringen.« Was war das noch gewesen? Adela konnte sich nicht mehr daran erinnern. »Und dann … fürchtete ich mich vor dem Tod und kämpfte gegen das Ertrinken an …« Noch immer schämte sie sich davor, Yvain anzusehen.
Wieder schwieg er eine Weile, ehe er schließlich sagte: »Adela, ich bin davon überzeugt, es wart nicht wirklich Ihr , die versucht habt, Eure Tochter zu töten.«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Aber Eure Tochter weiß, dass Ihr noch lebt?«, fragte Yvain ruhig.
»Nein«, flüsterte Adela, »es ist besser, wenn sie glaubt, ich wäre tot.«
»Wie könnt Ihr etwas so Dummes sagen?« Der Ärger in seiner Stimme traf sie wie ein Schlag.
»Begreift Ihr denn nicht: Ich wollte Robin töten«, schrie Adela auf.
»Ja, ich habe Euch schon verstanden.« Als sie den Kopf hob, funkelten Yvains Augen zornig. »Aber damals wart Ihr krank, und mittlerweile seid Ihr wieder gesund. Statt Euch mit unnötigen Vorwürfen zu quälen, solltet Ihr Euch lieber um Eure Tochter kümmern.«
»Ich kann nicht …«
»Ich habe Euch immer für eine tapfere Frau gehalten.« Yvain zwang sich, ruhig zu sprechen, trotzdem klang seine Stimme hart. »Aber Euch von Eurer Tochter fernzuhalten ist feige. Woher wollt Ihr denn wissen, dass sie nicht gern bei Euch wäre?«
Yvain bemerkte, dass Adela totenbleich geworden war und ihr Gesicht einen gehetzten Ausdruck angenommen hatte. »Es tut mir leid, dass ich Euch so angefahren habe«, sagte er sanfter. »Aber ich gäbe alles dafür, wenn meine Kinder noch leben würden. Wenn Ihr wollt, bringe ich Euch zu Eurer Tochter, wo auch immer sie lebt …«
Adela schüttelte wieder nur den Kopf.
»Wollt Ihr denn gar nicht miterleben, wie Eure Tochter größer wird und sich verändert? Wollt Ihr Euch nicht mit ihr freuen, Euch über sie ärgern und Euch mit ihr streiten? Seid Ihr Euch eigentlich darüber im Klaren, um wie viel Ihr Euch und Euer Kind betrügt? Mein Sohn Alan war so eigensinnig, dass er mich manchmal zur Weißglut brachte, und meine Tochter Iris war wie ihre Mutter und konnte in einem Grashalm oder in einem welken Blatt ein kostbares Wunderding sehen …«
Himmel, jetzt wurden ihm auch noch die Augen feucht … Yvain wandte sich wütend ab, da er nicht wollte, dass Adela Zeugin seines Gefühlsausbruches wurde. Er hatte nach dem Halfter des Pferdes gegriffen und war im Begriff, es wegzuführen, als er Adela plötzlich leise sagen hörte: »Robin lebt in dem Kloster von Barking bei London …«
*
Am Abend dieses Tages ließ Marian den Strumpf, den sie stopfte, sinken und blickte wieder einmal zu Yvain, der neben ihr im Schein eines Talglichts am Kamin saß. Eine ganze Weile schon brütete er vor sich hin. Vorher war
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