Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
schweigsame Frau. Von dem Mann weiß ich nur, dass er ein umherziehender Sänger ist, der hin und wieder in unserem Gästehaus nächtigte.«
William de Thorigny besann sich einen Moment. »Als Schwester Fidelis ihre ewigen Gelübde ablegte, wird doch sicher vermerkt worden sein, aus welcher Familie sie stammt und welche Schenkung sie ins Kloster einbrachte?«
»Das war vor meiner Zeit als Äbtissin. Aber sicher, dies wird alles festgehalten sein.« Héloise nickte eifrig. Sie bat ihren Vetter in den angrenzenden Raum, ihr Schreibzimmer, wo sie mit einem Schlüssel eine eisenbeschlagene Truhe öffnete. Daraus entnahm sie ein schweres, in Leder gebundenes und mit Gold beschlagenes Buch, das sie zu dem Tisch trug, es aufschlug und darin blätterte. »In jenem Jahr trat Schwester Fidelis in das Kloster ein«, plapperte sie vor sich hin. »Ja, hier steht auch ihr Name. Oh …« Sie brach ab.
Ungeduldig beugte sich William de Thorigny über ihre Schulter. Neben dem Namen der Schwester prangte ein dicker Tintenklecks, der sowohl die Angaben zu ihrer Familie als auch zu ihrer Schenkung völlig verdeckte.
»Ach, was für eine Nachlässigkeit der Schreiberin«, seufzte Héloise.
Seine Base war wirklich unfassbar dumm … William de Thorigny unterdrückte einen gereizten Wutschrei. »In diesem Kloster wird es doch wohl wenigstens eine Nonne geben, die mehr als Ihr über diese Schwester Fidelis weiß!«, fuhr er sie an.
Äbtissin Héloise blinkerte nervös mit den Lidern. »Ihr habt ja Recht, vielleicht sollte ich mich mehr für die Schwestern interessieren«, sagte sie zaghaft. »Aber solange alles seinen geordneten Gang geht … Unsere frühere Novizenmeisterin hätte Euch gewiss viel über Schwester Fidelis sagen können, aber sie ist leider tot. Nun, am ehesten kann bestimmt noch unsere Priorin, Schwester Amélie, weiterhelfen.«
»Dann schafft mir die Priorin herbei«, knurrte William.
Zu seiner Erleichterung machte die Priorin, eine schmale, kleine, um die dreißig Jahre alte Frau, die sich flink bewegte, einen intelligenten Eindruck. Er vermutete, dass hauptsächlich sie die Geschäfte des Klosters leitete – statt seiner Base. Ihrem Eindruck nach hatte Schwester Fidelis im Laufe der Jahre ein sehr enges Verhältnis zu dem Jungen entwickelt. Auch der Sänger – so glaubte sie beobachtet zu haben – kam nur wegen dieses Luce regelmäßig ins Kloster.
Sonst wusste die Priorin noch zu berichten, dass der Name des Sängers Simon de Bohun war und er sich den Nonnen gegenüber immer sehr höflich verhielt. Eigentlich eher wie ein Edelmann als ein umherziehender Musikant. Deshalb hatte sie auch keine Veranlassung gesehen, Luce oder Schwester Fidelis den Umgang mit ihm zu verbieten.
Und was Schwester Fidelis’ Herkunft betraf … Sie seufzte bedauernd und wiederholte, dass diese nun einmal eine sehr zurückhaltende Frau sei.
»Irgendetwas wird sie doch wohl über sich erzählt haben.« William de Thorigny konnte nur mit Mühe seine Gereiztheit unterdrücken. »Denkt bitte noch einmal genau nach. Vielleicht fällt Euch ja doch noch eine Kleinigkeit ein. Auch die kann wichtig sein.«
Schwester Amélie runzelte ihre blasse Stirn und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Schwester Fidelis war heilkundig«, versuchte William es weiter. »Wo hat sie denn ihr Wissen erworben – hier im Kloster oder an einem anderen Ort?«
»Soviel ich weiß, hat ihre Mutter sie das meiste gelehrt. Denn diese war ebenfalls heilkundig«, sagte die Priorin nachdenklich. »Wartet, jetzt fällt mir doch noch etwas ein. Der Name ihrer Mutter war, glaube ich, Alice … oder nein … Er war Aline. Ja, ich bin mir sicher. Schwester Fidelis sprach einmal von ihrer Mutter, und ich merkte mir den Namen, weil es der Namenstag der heiligen Aline war.«
Bei Gott … Die Erkenntnis durchzuckte William de Thorigny wie ein Schlag und ließ ihn aufspringen. Nun passte alles zusammen. Schwester Fidelis war Adelas Schwester und der Junge ihr Neffe und Adelas Sohn. Jetzt wusste er auch, an wen ihn der Junge erinnert hatte. An seinen verdammten Vater, durch dessen Schwerthieb er seinen rechten Unterarm verloren hatte. Kein Wunder, dass der Junge beabsichtigt hatte, ihn zu töten.
William de Thorigny beschloss, die drei suchen zu lassen, auch wenn er die Aussichten, dass sie gefunden wurden, für recht gering hielt. Immerhin hatten sie einen Vorsprung von einem halben Tag. Außerdem musste er herausfinden, wer hinter der Intrige gegen ihn steckte. Sein
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