Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
es auch zugegangen zu sein, dass die Pferde gerade zur rechten Zeit gescheut hatten und sie in dem anschließenden Durcheinander hatte entkommen können. William ballte die linke Hand zur Faust. Er würde sie finden, schwor er sich. Sie sollte es ihm bezahlen, dass er zum Krüppel geworden war.
»Suchen Euch etwa schwere Gedanken heim? Ihr wirkt so bedrückt.« Marjorie kam auf nackten Füßen aus dem angrenzenden Schlafgemach zu ihm. Sie trug nur ein Leinenhemd und einen roten Seidenschal um die Schultern, gegen den sich ihre dunklen Haare abhoben wie Rauch über einem lodernden Feuer. »Wollt Ihr nicht endlich zu mir ins Bett kommen? Ihr fehlt mir.«
Ihre Stimme war sanft und einschmeichelnd, und William war sich darüber im Klaren, dass sie ihn ebenso benutzte wie er sie. Aber – bei Gott – sie hatte es geschafft, dass er sich trotz seiner schweren Verletzung wieder als Mann fühlte. Er wollte sie nicht mehr missen.
»Komm her!« Er zog Marjorie auf seine Knie. Warm und verheißungsvoll drückte ihr Schoß gegen sein Glied. Er beherrschte sich. »Hatte dein Mann nicht auch Verwandte in der Normandie?«, fragte er scheinbar beiläufig.
»Ja, seine Eltern lebten dort auf einem Gut, nachdem wir geheiratet hatten. Seine jüngste Schwester Adela und ihr Mann übernahmen das Anwesen nach ihrem Tod. Ich habe sie nur bei unserer Hochzeit gesehen und dann noch einmal, als Nicolas und ich seine Familie in der Normandie besuchten. Adela mochte mich nicht besonders – seine Mutter übrigens auch nicht. Sie spürten, dass ich Nicolas nicht liebte.« Marjorie zuckte mit den Schultern.
Dann waren die beiden Frauen um einiges scharfsinniger gewesen als dieser Nicolas. Aber – nun ja – William konnte inzwischen nachvollziehen, warum dieser Kerl nicht von Marjorie losgekommen war.
»Adela ist seine einzige noch lebende Verwandte?«, bohrte er weiter.
»Zwei von Nicolas’ Geschwistern ertranken bei einem Bootsunfall. Außerdem gibt es noch eine Schwester, die in irgendein Benediktinerinnenkloster eintrat. Mein Gatte konnte diesen Schritt nicht verstehen. Er hat nie viel von ihr erzählt. Und wenn er es einmal tat, hat es mich nicht interessiert.« Marjorie verzog ungeduldig ihren Mund. Nein, es gab wohl kaum eine Frau, die weniger für ein Leben als Nonne geeignet gewesen wäre als sie. William unterdrückte ein Lächeln.
»Was meinst du, würde dich diese Adela in einer Notlage um Hilfe bitten?«
»Nein, ganz sicher nicht.« Marjories verächtliches Lachen war echt und bewies William, dass ihre Antwort nicht gelogen war. »Warum fragt Ihr auf einmal nach der Familie meines Mannes?« Ihre dunklen Augen verengten sich ein wenig misstrauisch.
»Aus einem Grund, den ich dir nicht näher erklären will, möchte ich diese Adela gerne finden.« Er lächelte sie an, während er seinen Unterkörper an ihr rieb.
Sie stöhnte auf. »Da kann ich Euch nicht helfen.«
Koste es, was es wolle – er würde dieses verdammte Weib aufspüren, versprach sich William. Dann öffnete er seinen Gürtel und widmete sich ganz Marjorie.
*
Als Ann in den Wirtschaftsweg einbog, hörte sie aus der Richtung der Stallungen zorniges Jungengeschrei. Darunter glaubte sie, Luces Stimme zu vernehmen. Sie beschleunigte ihre Schritte. Tatsächlich, vor dem Pferdestall prügelte sich ihr Neffe mit einem blonden kräftigen Knaben, der einen Kopf größer war als er – der Sohn eines Adligen, der die Klosterschule besuchte. Andere Jungen standen in einem Halbkreis um die beiden Kämpfenden herum und feuerten sie an: »Gib es ihm, Claude!«
»Ja, zeig dem Waisen seinen Platz.«
Andere brüllten: »Luce, lass dir von dem eingebildeten Kerl nichts gefallen.«
Luce lag unter dem anderen Jungen. Doch nun packte er dessen Arm und versuchte mit aller Kraft, ihn herumzuwälzen. Sand und Gras klebten in seinen zerzausten braunen Haaren. Seine Wangen waren zerschrammt und schmutzig und sein Mund entschlossen zusammengepresst. Seine Augen funkelten wütend. Für einen Augenblick schimmerte in seinem Kindergesicht das Antlitz von Anns Vater Ethan so sehr durch, dass es sie schmerzte. So hatte auch ihr Vater immer ausgesehen, wenn er wütend war.
Ein letzter Ruck – dann warf sich Luce, der vor Anstrengung keuchte, auf Claude.
»Mistkerl«, brüllte dieser, während er sich verzweifelt wehrte.
»Selber!« Luce hob seine zur Faust geballte Hand, um auf ihn einzuschlagen. Ann wurde plötzlich bewusst, dass sie schon längst in den Kampf hätte eingreifen
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