Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
haben wir schon vorher verloren. Sind damit unsere Vergehen nicht gesühnt?« Adela brachte den Namen William de Thorignys nicht über die Lippen. Regen tropfte von Henrys Kapuze. Unter dem Rand des dunklen Samtstoffes konnte sie sein Gesicht nur undeutlich erkennen. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass sich ein Bewaffneter ihr näherte – wahrscheinlich um sie vom Pferd des Königs wegzuzerren. Sie klammerte sich nur umso fester an die Zügel. Die lärmende Menge, die Edelleute und die Soldaten – alles um sie herum versank. Es gab nur noch sie und den König.
»Hoheit, meine Mutter hat Eurer Mutter bei Eurer Geburt beigestanden und dabei ihr und Euch das Leben gerettet. Meine kleine Tochter ist sehr krank. Ich flehe Euch an, seid meinem Kind gnädig, um des Lebens willen, das Euch meine Mutter geschenkt hat.« Sie spürte, dass ihr Tränen über das Gesicht rannen und sich mit den Regentropfen vermischten. Henry beugte sich ein wenig vor, so dass sie nun sein breites Gesicht zwischen den Schatten der Kapuze sehen konnte. Adela erschien es, als ob sich ein Anflug von Milde darauf abzeichnen würde.
»Lass das Weib in Frieden …« Seine Stimme klang tief und rau. Mit einer knappen Handbewegung schickte er den Soldaten weg. Adela fasste neuen Mut.
»Bitte, schenkt mir Geld«, redete sie hastig weiter, »damit ich gute Nahrung und Heilkräuter für meine Tochter kaufen kann. Ich werde alles tun, um Eure Großherzigkeit zu vergelten. Verfügt über mich, wie Ihr wollt. Ich werde die niedrigsten Dienste für Euch ausüben …«
»Nun, Weib, auf deine Dienste kann ich verzichten. Aber um deiner und meiner Mutter willen …« Henry nestelte wieder an der goldbestickten Geldbörse an seinem Gürtel.
Plötzlich spürte Adela, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Sie nahm William de Thorignys Gegenwart wahr, noch ehe sie ihn sah. Einen Lidschlag später trat er neben den König. Sie konnte ihn nur anstarren und war unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Sein Umhang von der Farbe roten Herbstlaubs war ganz trocken. Er musste aus der Burg gekommen sein. Sein schmales, gut aussehendes Gesicht zeigte Überraschung, Hass und einen Ausdruck von grausamer Freude. Als wäre sie eine Beute, der noch einmal zu begegnen er nicht erwartet hätte.
Als er sich jetzt dem König zuwandte, verschwanden all diese Empfindungen von seinem Antlitz. Es zeigte nur noch Bestürzung und Sorge. »Majestät, ich muss Euch dringend vor diesem Weib warnen«, sagte er rasch. »Ihre Mutter mag Euch das Leben gerettet haben. Aber sie selbst ist eine Hexe. Ich weiß, dass sie wegen ihrer Zauberkräfte aus mehreren Städten vertrieben wurde. Ganz sicher ist die Geschichte von ihrer armen, kranken Tochter nur ein Märchen, das sie Euch aufgetischt hat, um Euer Mitleid zu erregen. Ich kann Euch nur raten, lasst dieses verderbte Weib einsperren und bestrafen, damit sie nicht länger ihr Unwesen treiben kann. Wie mächtig ihre Zauberkräfte sind, erkennt Ihr daran, dass es ihr gelungen ist, auch Euch mit ihren Lügen einzulullen.« Er seufzte bedauernd.
Während William de Thorigny gesprochen hatte, hatte sich Henrys Miene immer mehr verfinstert. Adela wollte etwas zu ihrer Verteidigung vorbringen, aber ihre Lippen gehorchten ihr nicht.
»Schafft sie mir aus den Augen!«, rief Henry einigen Soldaten zu. William de Thorigny lächelte sie höhnisch an. Robin , durchfuhr es Adela. Wenn sie eingesperrt würde, würde ihre Tochter in der Dachkammer elendiglich sterben.
»Ja, fasst die Zauberin!«
»Tötet die Hexe!«, schrien und brüllten die Menschen ringsum.
Robin … Adela erwachte aus ihrer Erstarrung. Sie tauchte unter Händen weg, die sie packen wollten. Der Schleier wurde ihr vom Kopf gezerrt. Gleich darauf kreisten sie einige Männer ein. Sie trugen die Tracht von Handwerkern. Ein grausames Lachen verzerrte ihre nassen Gesichter.
»So, Täubchen, uns entkommst du nicht«, rief ihr einer zu.
»Seht nur, ihr Haar ist ganz rot, richtiges Hexenhaar«, schrie ein anderer. Ein Dritter versuchte, sie daran zu packen.
»Pass auf, verbrenn dich nicht daran«, grölte wieder der Erste. Adela glaubte, eine Lücke zwischen ihnen auszumachen. Doch sofort standen sie wieder Schulter an Schulter. Einer versetzte ihr einen derben Stoß in den Rücken, der sie taumeln ließ. Sie trieben sie zwischen sich hin und her, wie Katzen, die mit einer Maus spielten. Verzweifelt begriff Adela, dass sie ihnen nicht entkommen würde. Ein heftiger Tritt, der
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