Die Rache der Horden
Sonne gesunken ist, und den Beschuss bis zur Morgendämmerung aufrechterhalten.«
»Das kostet uns aber letztlich fast zehntausend Kugeln«, warf Jewgeni ein, der Artilleriekommandeur des Korps. »Es strapaziert unsere Reserven, und der Krieg ist erst drei Tage alt.«
»Die Merki werden noch an den Resten ersticken«, entgegnete ein junger Adjutant kalt und stand auf, um einen Blick über die Brüstung des Walls zu werfen.
Und er stolperte rückwärts, drehte sich schlaff um und brach zusammen, ohne ein Wort zu sagen. Andrew musterte den toten Soldaten, der gerade Sekunden zuvor noch unanständige Bemerkungen mit seinen Freunden ausgetauscht hatte. Die Verluste entwickelten sich zu einer allmählichen Vergeudung von Menschenleben, die sie alle schier in den Wahnsinn trieb, während die Merkigeschütze einen ständigen Sprühregen aus Kartätschen und Schrapnell über den Fluss aufrechterhielten.
Andrew wandte sich ab, als die Leiche weggetragen wurde.
»Sie brauchen etwas Schlaf, Sir«, riskierte ein Adjutant vorzubringen.
Andrew nickte steif. Er war seit der gestrigen Morgendämmerung auf den Beinen. In zwei Stunden würde es dunkel werden. Er musste sich etwas Schlaf holen.
Wortlos wandte er sich von der Brüstung ab, verließ die Bastion und kehrte in sein Hauptquartier zurück, ohne der Granaten zu achten, die über ihm detonierten.
Glockengeläut verkündete die Ankunft eines Zuges im Schutz der zweiten Linie. Die Schwaden aus Dampf und Rauch zeichneten sich hinter den Wällen der Bastion ab.
Ein Merkiluftschiff hatte im Kampf gegen den zunehmenden Wind und die tiefer sinkenden Wolken die Lokomotive zu treffen versucht und wendete jetzt. Mit dem starken Wind im Rücken raste es über Andrew dahin und kehrte in den Schutz seines Hangars irgendwo hinter den Shenandoah-Bergen zurück.
Andrew betrat das Hauptquartier und ging zu seinem Feldbett. Ächzend streckte er sich darauf aus.
»Andrew?«
Erschrocken richtete er sich auf. Kathleen stand da in der Dunkelheit.
Sie kam näher und zeigte ein besorgtes Lächeln.
»Was zum Teufel machst du denn hier?«, raunzte er.
»Ein schöner Empfang«, gab sie zurück und setzte sich neben ihn. Sie fuhr mit den Händen über seine Wangen und strich ihm dann eine Strähne blassblonder Haare, durchsetzt mit Grau, aus der Stirn.
Er beugte sich vor und küsste sie leicht. Als ein lauter Donnerschlag ertönte, Sekunden später gefolgt vom Prasseln des Schrapnells an der Hüttenwand, wurde er starr.
»Ich bin als leitende Ärztin mit dem Lazarettzug gekommen«, sagte sie sanft. »Emil hat mich geschickt.«
»Verdammt töricht von ihm!«, schimpfte Andrew. »Hier draußen läuft etwas ab, was man unter dem Begriff Krieg kennt!«
»Ich kann auf mich aufpassen.«
»UndMaddie?«
»Sie bleibt so lange bei Ludmilla.«
Andrew gab innerlich nach, wohl wissend, dass es nutzlos gewesen wäre, mit Kathleen über den angemessenen Platz einer Frau im Krieg zu diskutieren. Solche Feinheiten hatten vielleicht zu Hause auf der Erde gegolten, aber hier kämpfte eine Nation ums nackte Überleben. Alle trugen das gleiche Risiko, und wer war er denn, dass er seiner Frau hätten befehlen können, sich zu verstecken?
»Es läuft nicht gut, nicht wahr?«, fragte sie.
Er nickte hölzern.
»Ich hätte nie mit dieser Mole gerechnet. Es war eine so offenkundige Lösung, und wir haben nie entsprechend vorgeplant. Gott helfe mir, ich habe wohl zehntausend Cartha da draußen sterben gesehen. Der Fluss ist rot von ihrem Blut. Die Merki haben noch tausende mehr abgeschlachtet, die zu fliehen versuchten. Wir verheizen tonnenweise Munition, um damit eigene Artgenossen umzubringen.«
Er brach ab. Längst schon fühlte er sich verbraucht von all dem, was er hier miterlebte.
Aus dem angrenzenden Zimmer hörte er die Telegrafentaste klappern, und Kathleen spürte, wie er starr wurde.
Müde rappelte er sich auf.
Sie musterte ihn misstrauisch. Er hatte sich verändert -die Reaktionen wirkten steif, angespannt, und es lag nicht nur am Schlafmangel. Sie erinnerte sich, wie er im Tugarenkrieg gewesen war, wie er damals die drohende Niederlage gespürt, sich aber trotzdem wütend dagegen gesträubt hatte und sie auf diese Weise alle mitzog zum Sieg. Diesmal war da etwas anderes, und als sie ihm in die Augen blickte, erkannte sie schließlich, was es war: er hatte Angst.
Der Telegrafist platzte mit aschbleichem Gesicht herein.
»Es ist von Hans«, vermutete Andrew schon, und es war kaum noch ein
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