Die Rache der Horden
retten, die wie rissiges Glas zu zersplittern drohte.
»Selbst wenn wir diesmal beide umkommen«, flüsterte sie, »bleibt immer noch Maddie. Was wird aus ihr, falls du verlierst?«
Er schien zusammenzuzucken, als der Name seiner Tochter fiel.
»Drücke sie für mich«, sagte er. Er küsste Kathleen leicht auf die Lippen und wich zurück, wobei er mit der rechten Hand schon die Uniform zu richten versuchte. Kathleen zwang sich zu einem Lächeln. Erneut diese Furcht, nie zu wissen, ob ein Lebwohl vielleicht das letzte war.
Er nickte ihr nervös zu und wandte sich ab, als sie die Hütte verließ, denn er schämte sich der Tränen, die ihm kamen. Für lange Minuten stand er allein da, wohl wissend, dass unmittelbar draußen vor der Tür Dutzende auf seine Befehle warteten.
Der engste Freund, den er je gehabt hatte, kämpfte in diesem Augenblick keine hundert Kilometer entfernt um sein Leben, um ihr aller Leben. Andrew warf erneut einen Blick auf die Karte und zeichnete die Linien nach. Einen endlosen Abend voller »Was wäre wenns« lang hatten sie darüber diskutiert, hatten sich Katastrophen ausgemalt und Möglichkeiten, was dann zu tun war. Bei all ihren Planungen hatte Andrew jedoch fest geglaubt, den ersten Ansturm aufhalten zu können und sich erst im Sommer, wenn der Fluss zu einem Rinnsal reduziert war, zu der Ausweichlinie zurückziehen zu müssen, die sie im Verlauf des Frühjahrs am Waldrand angelegt hatten. Hätten sie nur bis in den Spätsommer durchgehalten, dann hätte die Horde vor der Wahl gestanden, sich entweder zurückzuziehen oder zu hungern.
Wenn es Morgen wurde, war die Bahnlinie von Norden aus zurück nach Suzdal wahrscheinlich durchtrennt, und er konnte davon ausgehen, dass die meisten Umen dann direkt nach Osten vorstießen und schließlich nach Süden abschwenkten, um sich mit den Kräften zu vereinen, die ihm hier gegenüberstanden.
Meisterhaft.
Hans geriet so in Gefahr, abgeschnitten zu werden, und ein Großteil seines Korps drohte mit ihm unterzugehen, einige der besten Truppen der ganzen Armee.
Andrew starrte auf die Karte und wusste sehr gut, worauf sie sich alle in einer solchen Lage längst geeinigt hatten. Und wusste sehr gut, dass das grundlegendste Prinzip lautete: immer Kräfte in einen Sieg zu investieren, niemals zusätzliche Kräfte in eine sichere Niederlage zu steuern. Er spürte, wie sich ihm der Magen anspannte, als stünde Hans gleich hier neben ihm, fixierte ihn mit seinen Falkenaugen und erklärte ihm, was getan werden musste.
Er ging ins Telegrafenbüro, und während der Telegrafist die sechs chiffrierten Wörter tippte, starrte er Andrew an.
Andrew verließ die Hütte und gesellte sich zu seinem wartenden Stab.
»Er hat die Trompete geblasen«, sagte Andrew leise.
»Mein Gott, wir ziehen ab?«, schrie ein Adjutant.
Andrew nickte.
»Mehr als das halbe Korps von Hans wurde abgeschnitten. Morgen schon werden die Merki unsere hiesige Stellung von hinten angreifen. Ich habe Befehl gegeben, dass die Reservezüge in der Nacht hier anfahren, um die Armee zu evakuieren und hinter den Neiper zurückzuholen.«
»Was ist mit General Schuder?«
»Er ist jetzt auf sich selbst angewiesen«, sagte Andrew leise. »Sollten wir versuchen, ihn zu retten, ginge die ganze Armee auf dieser Steppe unter. Wir versuchen, einige Züge aus Suzdal über die Nordstrecke zu Bastion 100 zu schicken und ihn herauszuholen, ehe die Merki die Linie unterbrechen.«
»Kesus und Perm mögen ihm beistehen«, flüsterte ein Adjutant.
»Kesus möge uns allen in den kommenden Tagen beistehen«, sagte Andrew.
Verzeih mir, Hans, flüsterte er vor sich hin, als er in die Hütte zurückkehrte und die Tür schloss.
Kapitel 6
»Er hat die Trompete geblasen.«
John Mina blickte Pat an.
»Die niemals zum Rückzug blasen soll«, sagte Pat leise.
Kai rutschte nervös auf dem Stuhl herum und betrachtete die Lagekarte an der Wand.
»Wie konnten wir die Potomac-Linie nur so schnell verlieren?«, fragte er traurig. Er stand auf und strich mit der verbliebenen Hand die Falten der langen schwarzen Jacke glatt.
»Es war ein Risiko«, antwortete Pat fast abwehrend. »Lee hat 1864 fast die gleiche Frontlänge mit etwa der gleichen Anzahl Truppen gehalten.«
»Fast fünfhundert Kilometer Schienenstrecke und über hundertfünfzig Kilometer Befestigungen – alles verloren«, flüsterte John und schüttelte ungläubig den Kopf.
Am angrenzenden Zimmer blieb die Telegrafentaste nicht stehen. Ein
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