Die Rache der Horden
als Emil seine Beine aufs Bett hob. Innerhalb weniger Minuten schnarchte er.
»Und auch noch in meinem Bett«, seufzte Emil.
Es lag mehr als einen Tag zurück, dass er selbst zuletzt geschlafen hatte, und er hatte eine lange Nacht vor sich. Amputationen, Schneiden und immer wieder schneiden – und er zitterte innerlich über den roten Preis, den der Krieg seinem Herzen abverlangte. Es schien, als hätte er nie etwas anderes getan.
Er blickte zu seinen Notizbüchern und dem Mikroskop neben ihnen hinüber – seine kostbaren Forschungen über Schwindsucht, Typhus, entzündete Wunden und diesen seltsamen Pilz, den er am Stamm bestimmter Bäume fand und der Infektionen durch bloße Berührung abtötete. All das musste jetzt wieder warten.
Er verließ das Zelt und fand dort Johns Mitarbeiter vor, die geduldig warteten.
»Gehen Sie schon! Sehen Sie verdammt noch mal zu, dass Sie hier verschwinden und eine ruhige Ecke finden, wo Sie schlafen können!«, schrie er und fuchtelte mit den Händen, als wollte er eine Schar verwirrter Gänse verscheuchen. »Kommen Sie morgen früh zurück.«
Die Männer blickten sich gegenseitig an, erst verwirrt, dann beinahe dankbar, ehe sie zu einem Stapel Kisten unter einer Plane hinübergingen und es sich dort bequem machten.
»Ich lasse Ihnen etwas Warmes zu essen bringen«, sagte Emil, wandte sich ab und machte sich auf eine erneute Runde durch das Lazarett. Da lag ein Roumjunge mit einer schrecklichen Bauchwunde. Seit Emil Pat hatte retten können, schickte er am Bauch Verwundete nicht mehr einfach weg, damit sie in einem isolierten Zelt starben. Das Problem war nur, dass eine Amputation gerade mal fünf Minuten dauerte, eine Bauchwunde aber eine halbe Stunde oder länger behandelt werden musste. Er brachte es jedoch einfach nicht mehr fertig, diese Menschen sterben zu lassen. Diesmal hatte er die Wunde mit dem Schimmel abgedeckt und war neugierig darauf, ob sie sich wohl schon infiziert hatte. Vielleicht, wenn Gott es wollte, funktionierte es einfach. Falls das so war, würde er Suchmannschaften in den Wald schicken müssen, um mehr von diesem Schimmel zu sammeln, und er musste alle Feldärzte in der Behandlung von Bauchwunden unterweisen, etwas, worauf er bislang verzichtet hatte.
Er blickte auf und sah, wie sich ein Zug langsam seinen Weg bergab suchte, einen weiteren der riesigen Aerodampfer im Schlepp.
Er schnaubte abschätzig. Wieder eine neue Methode, die sich Menschen ausgetüftelt hatten, um einander umzubringen, dachte er zornig, ehe er in dem Zelt verschwand.
»Ein schöner Tag«, sagte Andrew seufzend und lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum.
Aus der Ferne drang ein Geräusch herüber wie von Donnerschlägen an einem Sommerabend, aber er nahm es kaum zur Kenntnis. Licht blitzte über Sudal auf, unweit des Yankeeviertels. Lange Sekunden später brach sich ein dumpfes Krachen an den Hügeln. Er bemühte sich, nicht an Kathleen und Maddie zu denken. Kathleen hielt sich wahrscheinlich im Dom auf und arbeitete dort in der Chirurgieabteilung, zusammen mit etlichen Feldärzten in Ausbildung. Es war eine Vorstellung, bei der ihn fror. Seine Frau, wie sie das gemeinsame Kind stillte und eine Stunde später eine Säge hielt, um im Rahmen einer Schulungslektion einem verletzten Jungen den Arm abzuschneiden. Auf wie unterschiedliche Art man Leben schenken konnte – einmal durch Liebe, obschon auch diese andere Art, die Verstümmelung, ein Ausdruck von Liebe war. Sobald sie damit fertig war, würde sie sich waschen und erneut Maddie in die Arme nehmen.
»Tausendeinhundertdreißig Meter bis zum äußeren Tor«, sagte Andrew und blickte dabei Juri an. »Näher reicht der Wald nirgendwo an die Stadt.«
Juri nickte.
»Ein bisschen weit«, fand er und blickte durch das lange Teleskoprohr.
»Habt Ihr geübt?«, erkundigte sich Andrew.
»Tatsächlich werde ich langsam richtig gut«, antwortete Juri, und eine Spur Stolz klang in diesen Worten durch.
Andrews ganze Hoffnung ruhte auf diesem einen Versuch. Es musste einfach klappen.
»Das versteckte Feld, wo Ihr geübt habt – irgendwelche Probleme?«
Juri schüttelte den Kopf und blickte weiter durchs Teleskop.
»Alles läuft dem Ritual entsprechend«, sagte er schließlich. »Suzdal entspricht dabei der goldenen Jurte eines rivalisierenden Qar Qarth, und ihre Besetzung läuft auf den symbolischen Sturz des Feindes hinaus. Die Tugaren haben bei Orki die große Jurte der Merki erbeutet, und diese Demütigung brennt bis
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