Die Rache der Horden
überlegte einen Augenblick lang, während er die dunklen Dachsparren anstarrte und dem leisen Ticken der Uhr lauschte.
»Möchtest du etwas Honig in den Tee?«
Stanislaw sah den Sendboten an, der in seinen Proviantbeutel griff und einen irdenen Krug hervorholte.
»Hatte seit Monaten schon keinen mehr!«
Der Junge gab Stanislaw etwas Honig in den Tee, und der Telegrafist lächelte dankbar.
Er legte die Füße auf den Tisch, während er trank und verschlafen der Uhr zuhörte. Ganz allmählich nickte er ein.
Kapitel 5
Im ersten Licht des Morgens ritt Tamuka in das Lager, das von einem flackernden Feuer markiert wurde. Auf dem Gipfel einer kleinen Anhöhe blickte er zurück nach Westen. So weit das Auge reichte, verschwand die Steppe förmlich unter der gewaltigen Kolonne von fünfundzwanzig Umen, einer Viertelmillion Krieger, achthundert Meter breit und mehr als dreißig Kilometer lang. Das Donnern der Hufe erinnerte an ein Gewitter, als sie durch die Untiefen eines breiten, flachen Stroms platschten.
Vuka grinste begeistert, sprang aus dem Sattel und gesellte sich zu seinem Vater, der an einem Baum lehnte und sich den Vorbeimarsch des Heeres ansah.
Tamuka verneigte sich ehrerbietig und ging zu Hulagar hinüber.
»Läuft alles gut?«, fragte er, setzte den Helm ab und fuhr sich mit der Hand durch die Mähne.
»Der Überfall ist wie geplant verlaufen. Es scheint, dass wir bislang unentdeckt geblieben sind.«
»Sie haben uns früher schon überrascht«, mahnte Tamuka zur Vorsicht.
Hulagar nickte.
»Ich denke allerdings, dass wir sie diesmal vielleicht erwischt haben«, sagte der Schildträger des Qar Qarth. »Ihre Flussverteidigung ist bis zu der Stelle, wo sich der Fluss gabelt, gut ausgebaut. Dort haben sie dann ihre Anlagen entlang des nördlichen Arms errichtet. Am hiesigen Flussarm haben sie nur Spähposten errichtet, einen halben Tagesritt weiter draußen.«
Tamuka nickte und griff an die Hüfte, wo er eine Wasserflasche fand und öffnete. Er nahm einen tiefen Schluck und wischte sich die Lippen mit dem Ärmel ab.
»Und die Vushka Hush?«
»Sind bereits in Stellung gegangen.«
Tamuka blickte zu Jubadi hinüber, der inzwischen auf der Erde saß und sich über eine Karte beugte.
Innerlich war Tamuka dankbar dafür, dass Jubadi die Bitte des Zan Qarth abgelehnt hatte, die Vushka begleiten zu dürfen. Die Vushka waren, begleitet von einem Regiment Tugaren, mehr als dreihundert Kilometer weiter nach Westen vorgestoßen und dazu schon vor zehn Tagen von der Hauptkolonne aus aufgebrochen. Vor vier Tagen hatten sie ihre Pferde stehen lassen und den Wald betreten, einem Weg folgend, der schon im Winter heimlich markiert worden war. Es war würdelos für Krieger vom Blut der Horden, zu Fuß in die Schlacht zu ziehen, und die elftausend Krieger waren außerdem mit mörderischem Tempo marschiert. Sobald die Flanke jedoch umgangen war, würde man ihnen wieder ihre Pferde zuführen.
Hulagar gesellte sich nun zum Qar Qarth, gefolgt von Tamuka. Jubadi blickte auf und nickte Tamuka grüßend zu, und der Schildträger stellte fest, dass er etwas leichter atmete. Seit dem Mondfest hatten sie nicht mehr miteinander geredet, und dies war jetzt das erste Zeichen, dass sich jeder Groll, der womöglich noch bestand, gelegt hatte. Tamuka sah Muzta ein Stück abseits stehen, und der Qar Qarth der Tugaren lud ihn mit einem Wink ein, zu ihm zu kommen.
»Wie ich höre, haben deine Krieger gut gekämpft«, sagte Tamuka höflich, nachdem er sich tief verneigt hatte.
Muzta lachte leise.
»Natürlich. Der große Wald ist für euch vielleicht fremd, aber er bildet die Nordgrenze unseres Reichs.«
Tamuka nickte. Er fand die dräuenden Wälder düster und beunruhigend, als würden sie in ihrer unheimlichen Stille eine vage Drohung bergen. Sie schienen die Grenze der Welt zu markieren, und er betrachtete sie voller Missfallen.
»Meine Pfadsinger können dir jeden Berg, jede Flussüberquerung, jeden Gebirgspass auf der ganzen Welt nennen, eine komplette Umkreisung weit, aber vierhundert Meter tief in diesem Wald beginnt selbst für uns ein Mysterium. Nur hier und bei Kyhmer auf der anderen Seite der Welt müssen wir hineinreiten, um dem Meer auszuweichen.«
Muzta brach ab und blickte auf die Steppe hinaus. Vor drei Wintern war er durch diese Landschaft geritten, er selbst an der Spitze seiner Umen, bereit, die Rus mit, wie er glaubte, einem Krieg von nur einem Tag Dauer zusammenzukehren – eine kleine Abwechslung, ein
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