Die Rache der Jagerin
meinte, dass er das nicht glaube. Wyatt habe nur schlechte Laune. Wahrscheinlich hat er einfach einen Monat lang seine Tage.
Wenn diese roten Pillen machen, dass sich mein Kopf nicht mehr wie eine Bowlingkugel anfühlt, werde ich ihm seine schlechte Laune verzeihen. Ich öffne den Mund. Er lässt die Pillen hineinfallen und hält mir das Saftglas so hin, dass ich genug trinken kann, um die Arznei hinunterzuschlucken. Der Saft brennt in meiner Kehle und fühlt sich kalt im Bauch an. Ich sinke ins Kissen zurück und schließe erneut die Augen in der Hoffnung, dass er nun zufrieden ist.
»Ash macht Götterspeise«, erklärt er, während er meine Stirn mit einem Papiertaschentuch abtupft. »Davon wirst du etwas essen.«
»Widerlich.«
»Mit Kirschgeschmack.«
»Noch widerlicher.«
»Evy, ich meine es ernst. Iss, oder ich fahre dich persönlich ins Krankenhaus.«
Ich hebe mühsam ein Lid und schaue ihn unter den Wimpern hervor an. Seine Kiefermuskeln sind angespannt und die Lippen fest aufeinandergepresst. Diesen Gesichtsausdruck kenne ich. Er meint es todernst. Und ich habe nicht die Energie, mit ihm zu streiten. »Na schön.«
Nachdem er die Schlacht gewonnen hat, nehme ich an, dass er geht. Aber er bleibt.
Er bleibt, während ich einen zweiten Hustenanfall habe. Er reicht mir Taschentuch um Taschentuch, bis ich der Überzeugung bin, dass mein Kopf keinen weiteren Schleimtropfen mehr absondern kann, ohne in sich zusammenzufallen. Er hält mir eine Schüssel hin, in die ich die Hälfte der verzehrten Götterspeise erbreche. Ich verfluche ihn, denn er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und plaudert die ganze Zeit über Belanglosigkeiten.
Nach einem weiteren Glas Saft, weiteren Bissen Götterspeise, ein paar Salzstangen und einigen Monologen bricht irgendwann in der Nacht das richtige Fieber aus. Wyatt weicht nicht von meiner Seite, hält mir die Hand und ist stets mit einem Taschentuch zur Stelle. Seine Anwesenheit tröstet mich.
Als ich am nächsten Morgen aus einem traumlosen Schlaf erwache, ist er verschwunden.
Ich starre die vergilbte Tapete an. Inzwischen kann ich wieder klarer denken und frage mich, ob ich Wyatt nur geträumt habe. Nach vier Jahren und Dutzenden von Verwundungen hat er zum ersten Mal an meinem Krankenbett gewacht. Und nicht wegen einer lebensgefährlichen Verletzung, sondern ausgerechnet wegen einer Grippe. Das klingt zwar albern, aber so ist es.
Etwas hat sich verändert, aber ich kann es beim besten Willen nicht verstehen. Deshalb ignoriere ich es und tue so, als wäre nichts passiert. Als hätte sich nichts geändert.
Auch wenn wir beide wissen, dass sich sehr wohl etwas geändert hat.
17. Kapitel
Später …
I ch stand in Flammen. Jede Faser meines Körpers brannte – der Rücken und die Schultern, die auf etwas Weichem lagen, das Gesicht, das von etwas gestreichelt wurde, und die Beine, die verarztet wurden. Nichts blieb davon verschont. Selbst meine Eingeweide fühlten sich an, als wären sie herausgerissen, zu Brei püriert und wieder in mich hineingestopft worden.
Der Schmerz sagte mir, dass ich noch lebte. Doch er überwältigte mich, so dass ich ohnmächtig dahintrieb. Auf und ab auf grausamen Wellen der Qual, Höhenflüge und Talfahrten brachten mich immer wieder beinahe zu Bewusstsein und dann wieder zurück in den Schlaf. Ich glaubte, Stimmen zu hören, Dinge zu riechen und Berührungen auf der Haut zu spüren. Ein paarmal versuchte ich, etwas zu sagen, brachte aber wahrscheinlich nur ein Grunzen heraus. Meine Zunge war geschwollen, und die Kehle trocken und wund.
Nein, schlafen war eindeutig angenehmer.
Doch dann zwang mich ein unbändiger Brechreiz, aufzuwachen. Mein Oberkörper krümmte sich seitwärts, und ich würgte, ohne etwas von mir zu geben. Ich lag auf etwas Weichem. Leinen. Eine Decke. Etwas Warmes berührte mich an Kopf und Schulter, und jemand sagte unverständliche Worte in einem beruhigenden Tonfall.
Schmerzen fuhren mir wie Feuerlanzen die Beine entlang. Ich krampfte mich zusammen und versuchte, stillzuhalten, während mein Würgen zu einem leisen Schluchzen abebbte. In meinen Augen brannten heiße Tränen, und ich drückte sie zu, weil ich zu schwach war, um mich zu beherrschen. Die Decke … nein, die Matratze wurde von etwas Schwerem eingedrückt.
Ich fuhr hoch, ein einziges Knäuel aus Armen, Leinen, Kreischen und Schmerz. Meine Beine protestierten gegen die plötzliche Bewegung mit rasenden, betäubenden Stichen. Ich schlug um mich, doch
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