Die Rache der Jagerin
nicht, dass ich es schaffen würde, aber Phin glaubte an mich. Und das war genug.
»Na gut.«
Ohne Zeit zu verschwenden, verwandelte er sich zurück und flog davon. Ich zählte bis zehn und war noch immer überzeugt, ihn mir eingebildet zu haben. Es gab keinen VW-Bus. Ich würde in einem … sieben … sechs … Müllcontainer landen oder auf dem Gehweg festkleben. Egal. Ich war das Husten und Schwitzen leid und die … vier … drei … Tatsache, dass ich meine Beine nicht spürte. Immerhin wäre es dann vorbei.
… zwei … eins.
Ob bereit oder nicht, jetzt musst du springen.
Ich hielt den Atem an und stürzte mich in die Kluft. Ich wurde auseinandergerissen und litt Höllenqualen. Von über mir, von überall her schrillte das grässliche Kreischen von Stahl in meine Ohren. Ich bewegte mich durch die Schmerzen hindurch und auf den Bus in meiner Vorstellungskraft zu. Als ich die stählerne Wand und das Feuer durchdrang, wurde ich auseinandergezerrt.
Ich konzentrierte mich auf einen Kleinbus, der nicht existierte.
Mein Mund, meine Nase, meine Augen füllten sich mit Blut. Sein Geschmack klebte mir auf der Zunge, und sein Geruch stieg mir in die Nase. Blut und Schmerzen folgten mir in die Bewusstlosigkeit.
16. Kapitel
Vor sechs Wochen
E in ekliger Geruch reißt mich aus einem unruhigen Schlaf mit wilden Träumen. Nicht eklig wie der Gestank von faulendem Fleisch, sondern eher wie der von altem Essig. Mein Gott, gib, dass Ash nicht wieder diese koreanische Sauerkrautschweinerei kocht! Jesse isst das Zeug zwar, aber ich nicht. Vor allem nicht, wenn ich mich seit fünf Tagen mit einer Grippe herumschlage, seit vier Tagen nichts Festeres als Kartoffelbrei herunterbringe und sowieso versucht bin, mir den Kopf abzuhacken, damit der Schleim schneller aus ihm herauslaufen kann.
Ich mache vorsichtig ein Auge auf. Vor mir sehe ich die vertraute, fleckige Tapete, auf der einst weiße und gelbe Blümchen geprangt haben. Trifft nicht gerade meinen Geschmack, aber das macht mir nichts, da ich ohnehin selten zu Hause bin. Bis vor kurzem jedenfalls.
Mein Kopf fühlt sich wie tote Masse an, als ich mich auf die andere Seite drehe. Auf meinem Nachttisch – einer alten Obstkiste – steht ein volles Glas Orangensaft. Ich mag die schlichte Möblierung. Neben dem Glas steht eine Schachtel mit Papiertaschentüchern. Ich greife danach und will eines herausziehen, doch das verdammte Ding verheddert sich, und die Schachtel fällt auf den Boden.
»Fuck«, krächze ich.
Ich rutsche zum Rand des Betts und sehe nach unten. Die Schachtel ist ein Stück weggerollt, so dass ich nicht mehr herankomme. Mir hängt bereits ein Tropfen an der Nase, und ich brauche dringend ein Taschentuch. Aber ich kann meinen bleischweren Leib nicht dazu bringen, sich aus dem Bett zu quälen und die Schachtel aufzuheben. Vor Verzweiflung knurre ich, woraufhin es in meiner verschleimten Brust kitzelt. Der anschließende Hustenanfall bringt meinen ganzen Körper zum Beben, bis mir der wunde Hals weh tut.
Bitte töte mich einfach.
Vor mir baumelt ein Taschentuch. Mein Blick wandert von dem Tuch zu der Hand, die es hält, dann zum Handgelenk, den Arm hinauf, und schließlich erkenne ich verschwommen Wyatts Gesicht.
»Das hast du fallen lassen«, sagt er.
Ich brumme, nehme es ihm aus der Hand und schneuze mich. So fest, dass mir schwindelig wird. Danach lasse ich mich ins Kissen plumpsen, und das Taschentuch fällt herrenlos herunter. Ich schließe die Augen und wünsche mir, dass das Zimmer zu schwanken aufhört, denn solange es so schwankt, kann ich nicht schlafen.
Die Matratze senkt sich an einer Stelle ab, und eine kühle Hand legt sich auf meine fiebrige Stirn. Das fühlt sich gut an.
»Ash meint, du hättest den ganzen Tag nichts gegessen.«
»Weil es weh tut.«
»Du musst etwas essen, Evy.«
»Nein.«
»Wenn du nichts isst, wirst du noch im Krankenhaus landen.«
Ich reiße die Augen auf. Ich hasse das Krankenhaus. Verabscheue es. Da nähe ich meine Wunden lieber selbst. Was ich tatsächlich meistens mache. Er hält mir in der offenen Handfläche zwei rote Pillen hin, die ich misstrauisch beäuge. Noch mehr Arznei. Pillen hasse ich auch, und das weiß er. Schon wieder drängt er mich, so wie er mich den ganzen Monat ständig herumgeschubst hat. Eigentlich ist er sogar schon den ganzen Frühling über strenger als gewöhnlich.
Einmal habe ich Jesse gefragt, ob ich vielleicht irgendetwas getan habe, was Wyatt angekotzt haben könnte. Aber Jesse
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