Die Rache der Jagerin
Leben waren, drehten den Gashahn auf und verbrannten sämtliche Beweise.«
Mir schwirrte der Kopf, und ich krallte meine Finger in die Decke. Das Atmen fiel mir schwer. »Sie haben Unschuldige getötet«, flüsterte ich zitternd.
»Der Restaurantbesitzer hatte zwei Söhne im Teenageralter. Die blieben als Waisen zurück, und jeder sagte, dass es ein tragischer Unfall gewesen sei.«
Ich ließ den Kopf in meine Hände fallen, denn ich konnte mir dieses Vorgehen nicht vorstellen. Die Halbvamps abzuschlachten – selbstverständlich, so schmerzvoll wie möglich. Aber vier unschuldige Frauen zu ermorden, um ein Geheimnis zu bewahren – wer brachte so etwas bloß fertig? Da legte sich eine Hand auf meinen Kopf, und als ich aufschaute, kauerte Wyatt vor mir. Sein Gesicht spiegelte ein Durcheinander von Gefühlen wider: Wut, Reue und Trauer.
»Tut es dir leid, dass du gefragt hast?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nur überrascht.«
»Es waren andere Zeiten, Evy. Wir wussten kaum etwas über die Dregs, abgesehen von Gerüchten. Ohne den Feenrat wären wir verloren gewesen. Sie haben uns ausgewählt, ausgebildet und gelehrt. Das war ungefähr drei Jahre, bevor die Triaden, so wie wir sie kennen, zusammengestellt worden sind.«
»Du und Rufus wart von Anfang an dabei?«
»So ziemlich. Wir haben diesen Kampf nicht angefangen, Evy. Wir haben nur darauf reagiert. Schließlich mussten wir etwas unternehmen, um uns zu schützen.«
»Dann wurde das Ganze von etwas anderem ausgelöst.« Wütend presste ich Luft durch die zusammengebissenen Zähne. »Vampire stecken Menschen an, und die entstehenden Halbvamps vermehren sich. Das merken die Kobolde, und sie kriechen aus ihren Löchern und Tunneln hervor und wagen immer dreistere Angriffe. Die anderen Dregs wiederum nehmen das als Zeichen, dass alles erlaubt ist, und plötzlich werden wir von ihnen überrannt.«
»Tatsache ist«, meldete sich Phin, den ich fast vergessen hatte. Wut stand ihm ins kantige Gesicht geschrieben. »Tatsache ist, dass die Therianer schon immer unter Menschen gelebt haben. Wir sind nirgends hervorgekrochen, und die meisten von uns leben so friedfertig es nur geht.«
»Friedfertig?«, wiederholte Wyatt und stand auf, um sich zu Phin umzudrehen. »So nennst du das also, wenn man Leute zusammentrommelt, um uns zu töten? Friedfertig?«
»Es ist nicht mein ausdrücklicher Wille, dass ihr getötet werdet, denn ich mag Menschen sehr.« Seine blauen Augen funkelten, als er kurz zu mir herübersah. »In letzter Zeit lässt euer Urteilsvermögen und eure Art, die Ordnung zu erhalten, jedoch sehr zu wünschen übrig.«
»Wir haben nicht …«
»Mir ist es schnuppe, wer welche Befehle erteilt hat.« Phin klang so zornig, dass sogar ich zusammenzuckte, aber äußerlich blieb er völlig ruhig. Beinahe unnatürlich ruhig. »Meine größte Sorge ist, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Weder einem der Clans noch irgendeiner anderen Spezies – seien es jetzt Menschen oder Nichtmenschen.«
Er machte ein paar Schritte nach vorn. Wyatt wurde unruhig, doch Phin beachtete ihn nicht, sondern durchbohrte mich mit wildem Blick.
»Ja, ich sehnte mich nach Rache für den Tod meines Clans. Sehnte mich so sehr danach, dass ich das Menschenblut praktisch auf der Zunge schmecken konnte. Zu dir zu kommen und dich um Hilfe zu bitten, Aurora und Joseph zu beschützen, war wie eine Kastration für mich. Denn dadurch gestand ich eine Schwäche ein, die ich mir als ihr Clanältester nicht leisten durfte. Und an dem Morgen, an dem wir uns begegnet sind? Beinahe hättest du noch im Auto gesessen, als ich darauf gelandet bin – wie ich mich das gefreut hätte! Für mich waren Menschen böse, weil sie mein Volk abgeschlachtet hatten, und ich wollte nichts mit euch zu tun haben.«
Ich wand mich unter seinem Blick und dem Gewicht seiner Worte. Zum ersten Mal sah ich den wahren Phineas el Chimal in all seiner temperamentvollen Pracht, wie er von Gefühlen hingerissen wurde und seine Wut und seine Trauer eingestand. Mann, wenn sich das mal nicht gut anfühlte!
»Was hat dich davon abgehalten, uns zu töten?«, wollte ich wissen.
»Etwas, das Danika mir einmal gesagt hat, als ich sie fragte, warum sie den Menschen gegenüber so freundlich gesinnt war«, erwiderte er. »Sie sagte: ›Evy hat ein gutes Herz. Es wurde ihr nur schon sehr oft gebrochen.‹«
Mir brannten die Augen. »Ich glaube, dass man durchaus geteilter Meinung sein kann, was die Güte meines Herzens
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