Die Rache der Jagerin
mindestens zehnmal so gefährlich. »Komm schon, Truman. Ich habe dir mein Innerstes offenbart, so dass du meine Seele praktisch sehen und berühren und dich möglicherweise darüber lustig machen kannst. Jetzt wirf mir auch einen Happen zu. Was ist aus dem Kind geworden?«
Noch immer starrte er mich finster an, doch seine Entschlossenheit schien allmählich zu bröckeln. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und über den Hals und kniff sich ins Nasenbein. Ich rührte mich nicht. Und er wusste, dass ich mich auch nicht rühren würde. Denn inzwischen war ich fest entschlossen, ihm diese Information abzuringen. Ich wollte wissen, wen er deckte.
»Na schön«, bellte er. »Willst du wissen, wessen Vater von einem Halbvamp ermordet wurde und wessen Mutter und Schwester die Kopfgeldjäger ermordet haben? Er ist der Mörder, von dem die Zusammenkunft faselt, Evy. Der, den du laut ihren Anschuldigungen deckst.«
Mir entglitten die Gesichtszüge vor Verwirrung. »Rufus?«
»Nein, nicht Rufus.« In seinen onyxfarbenen Augen flackerte es dunkel. »Ich.«
20. Kapitel
17:24 Uhr
M ir schoss der Satz durch den Kopf: »Die Spannung war förmlich mit den Händen zu greifen.« Seine letzten Worte hatten alles zum Stillstand gebracht. Er rührte sich nicht. Ich war erstarrt. Selbst das ferne Summen elektrischer Geräte und das Rauschen der Wasserrohre verklangen und wichen stumpfer Stille. Mir wollte nicht in den Kopf, was er eben gesagt hatte. Mir war mulmig und schwindelig, und ich war völlig durcheinander.
Er blinzelte und brach damit die Erstarrung.
»Du …« Mein Mund war trocken, und ich hatte einen Kloß im Hals, so dass ich erst einmal schlucken musste. »Du hast den Überfall auf Sunset Terrace nicht angeführt. Warum …?«
»Deshalb nennen mich die Kitsune auch nicht … Nicht deshalb.«
Ich schloss die Augen und atmete aus. Während ich mich darauf gefasst machte, den wahren Grund dafür zu erfahren, weshalb die Kitsune mir vorwarfen, einen Mörder zu beschützen, wurde mir noch mulmiger. Denn dabei ging es nicht um die Coni und die Stri, sondern um etwas ganz anderes. Als ich wieder aufblickte, hatte sich Wyatt in einen der beiden Polstersessel fallen lassen. Mit im Schoß gefalteten Händen starrte er auf den Boden. Er sah erbärmlich aus.
Offenbar hatte ich einen wunden Punkt getroffen, weil ich meine Umwelt und alles darin immerzu unter Kontrolle haben musste. Weil ich seine Aussage nicht einfach stehen lassen konnte, sondern alle Fakten kennen musste. Und damit hatte ich eine Seite von Wyatt bloßgelegt, die ich nie gesehen hatte und über die ich ihm nie Fragen gestellt hatte: seine Vergangenheit. Schließlich war er nicht voll entwickelt aus einem Loch im Boden gesprungen. Dennoch hatte ich mir nie Gedanken über sein Leben vor den Triaden gemacht. Und er hatte nie etwas darüber erzählt.
Obwohl ich wusste, wie billig es war, brachte ich nicht mehr heraus als »Tut mir leid.«
»Das glaubst du doch selbst nicht. Du verabscheust Mitleid genauso wie ich. Also lass es.« Er beugte sich vor und stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab. Noch immer war seine ganze Aufmerksamkeit auf den Boden gerichtet. »Das habe ich nicht verdient.«
»Du warst siebzehn, Wyatt.«
»Ich war nicht dabei. Ich konnte nichts tun, um es zu verhindern oder sie zu retten. Ich hätte dort sein sollen. Wir hatten versprochen, um acht dort zu sein, um die Bestände in der Vorratskammer durchzugehen. Stattdessen sind wir zu einem Freund gegangen.«
»Wir?« Ich rief mir in Erinnerung, was er mir über diese Sache erzählt hatte – und was ich für einen Abriss der Entstehungsgeschichte der Triaden gehalten hatte. In Wahrheit war es eine Momentaufnahme seines Lebens gewesen. »Du und dein Bruder?« Es fühlte sich seltsam an, die Worte auszusprechen.
Und noch seltsamer war es, ihn daraufhin nicken zu sehen. »Nicky … Nicandro hasste das Restaurant. Er hasste es, dort nach der Schule zu arbeiten. Später hat seine Abneigung einen Sinn ergeben.«
»Was willst du damit sagen?«
»Dass auch er ein Begabter war, Evy. Er besaß die Fähigkeit der Vorausahnung, aber er beherrschte sie nicht. Meistens wusste er überhaupt nicht, was er da sah oder warum er es sah. Er hatte mir erklärt, dass seine Vorahnungen zum Restaurant etwas mit uns zu tun hatten. Dass er unser Leben retten würde, wenn wir an diesem Abend wegblieben.«
Da die Geburt eines Begabten an einem Ort über der Kluft, einem magischen Hot Spot,
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