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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Medling
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zerschmetterte ihm den Schädel. Er war augenblicklich tot.«
    Ich weiß nicht, wann ich zu weinen angefangen hatte, aber mir strömten Tränen über die Wangen. Seine Geschichte brach mir das Herz – nicht allein der Inhalt, sondern auch der Tonfall, in dem er sie erzählte. Denn er sprach mit derselben nüchternen Klarheit, mit der er normalerweise emotionsfreie Themen abhandelte. Und gleichzeitig war jedes Wort erfüllt von Wut und Scham. Die Folgen seiner Unbeherrschtheit zu gestehen und auszusprechen musste ihm genauso schwerfallen, wie mir mein Monolog von vorhin.
    »Ich glaube, er hat gewusst, dass es entweder ihn oder mich erwischen musste«, meinte Wyatt und flüsterte die Worte beinahe. »Er wusste, dass einer von uns beiden in dieser Nacht sterben würde. Deshalb hat er getan, was er immer getan hat: Er hat mich beschützt.«
    »Weil er dich geliebt hat.« Mir blieben die Worte fast im Hals stecken, und das Ganze war, als würde ich Wyatts Tod noch einmal erleben. Den Moment, als Wyatt die Kugel abgefangen hatte, die mir gegolten hatte. Er hatte den Tod in Kauf genommen, damit ich am Leben blieb.
    »Ja.«
    Vor zehn Jahren und einem Monat.
    Plötzlich erinnerte ich mich in aller Klarheit an etwas. Knapp eine Woche nach meiner Grippe war ich allein zu Hause gewesen und hatte ihn mit einer Flasche in der Hand vor der Haustür aufgelesen. Nie zuvor hatte ich Wyatt betrunken erlebt. Und nicht nur ein wenig angetrunken, sondern völlig knülle. Er hatte etwas von einem Jahrestag gelallt, es aber nicht näher erklärt. Ich hatte ihn auch nicht weiter danach gefragt, und schließlich war er in meinem Zimmer eingepennt. Nicht ohne mich vorher geküsst zu haben – was ich als ein vom Alkohol verursachtes Versehen abgetan und wieder vergessen hatte. Über dieses unerfreuliche Ereignis hatten wir nie gesprochen. Verdammt, ich hatte nicht einmal mehr daran gedacht. Mit Hilfe einiger Flaschen aus Jesses Biervorräten war ich ebenfalls eingeschlafen. Danach war ich überzeugt gewesen, dass ich den Kuss nur geträumt hatte.
    Erinnerte Wyatt sich daran – oder an das, was er in dieser Nacht gesagt hatte? Würden die Dinge zwischen uns anders liegen, wenn ich ihm diese Geschichte damals schon abgerungen hätte? Wenn ich seinen Kuss erwidert hätte?
    Das war nun alles egal. Nicht mehr wichtig.
    Ich stand auf und ging zu ihm hinüber, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob er das wollte oder ob ich mich lieber von ihm abwenden sollte. Er lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. Seine Augen schimmerten. Ich setzte mich auf seinen Schoß und schmiegte mich an ihn. Eigentlich hätte mir diese Position peinlich sein sollen, aber so war es nicht. Ich schlang die Arme um seine Schulter, während er mir einen Arm um die Taille legte und den anderen um meine Knie. Wir hielten uns gegenseitig fest, und die schweigende Umarmung sprach Bände.
    »Ich habe den Typen trotzdem getötet.« Wyatts Stimme vibrierte in seiner Brust und übertrug sich auf meinen Körper, und ich spürte seinen heißen Atem im Nacken. »Ich bedauerte, dass ich ihn nur einmal töten konnte. Den anderen haben wir nie ausfindig machen können.«
    Ich löste mich ein wenig, um ihm in die Augen zu schauen. »In den ganzen zehn Jahren nicht?«
    »In den ganzen zehn Jahren.«
    »Was würdest du jetzt tun, wenn du ihn finden würdest?«
    Sein Blick wurde leer, als er sich in sein Inneres zurückzog. Er dachte über meine Frage nach, und dass er nicht sofort antwortete, machte mir Hoffnung. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht, Evy. Ich bin nicht mehr Andreas Petros, der Sohn griechischer Einwanderer. Den habe ich mit Nicandros und dem Rest der Familie begraben.«
    Ich berührte sein Gesicht und zeichnete die Linien darin nach, die ich so gut kannte. Das starke Kinn, die gerade Nase, die immerwährenden Bartstoppeln und die buschigen Augenbrauen. Der Mann, den ich kannte und liebte, war direkt vor mir, und er hieß Wyatt Truman. Ich glaubte ihm, wenn er mir sagte, dass Andreas nicht mehr existierte. Gleichzeitig wusste ich aber auch, was es bedeutete, die Wut aus einem anderen Leben mit sich herumzutragen. Unter der Oberfläche würde sie stets vor sich hinbrodeln und nur auf den winzigen Funken warten, der sie entzündete und in ein Inferno verwandelte.
    Wyatt neigte den Kopf zur Seite. »Bereust du es, dass du gefragt hast?«
    »Ich wünschte mir nur, dass ich früher gefragt hätte. Es ist erstaunlich, was wir alles nicht wissen – nicht einmal über

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