Die Rache der Jagerin
mich nicht zusammenriss. Wyatt zog mich an sich heran, verzichtete auf weitere Antworten und hielt mich einfach fest. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Schulter, atmete seinen Duft ein und spürte seinen Herzschlag.
»Ich habe dir gesagt, dass ich dich niemals drängen würde«, meinte er.
»Das ist es nicht. Ich will mit dir zusammen sein und dich gern haben, aber gerade das macht mir so schreckliche Angst.«
Er verkrampfte sich kaum merklich. »Das verstehe ich nicht.«
»Es fühlt sich so an …« Ich hatte Mühe, das auszudrücken, was in meinem Kopf so klar war. In meinem verwirrten, müden und von Schmerzen gepeinigten Kopf. »Nein, es fühlt sich nicht an. Es ist so. Wenn ich dem nachgebe, diesem körperlichen Verlangen, das du in mir weckst, verliere ich die alte Evangeline Stone für immer. Denn das würde bedeuten, dass die Gefühle dieses Körpers wirklich und wahrhaftig meine eigenen sind. Und was ist mit der, die ich davor gewesen bin? Die ist dann dahin. Es würde bedeuten, dass ich akzeptiere, dass ich nie wieder die Alte sein kann und dass dies hier nun mein Leben ist. Punkt.«
Endlich hatte ich es ausgesprochen, und seltsamerweise fühlte ich mich besser, ja fast schon erleichtert. Nun war es draußen – ich hatte meine Furcht in aller Ausführlichkeit eingestanden. Hätte ich dieses Geständnis irgendwie rückgängig machen können, ich hätte es nicht gewollt. Denn mein Verstand war sich der Tatsache bewusst, dass ich das nicht wiedererlangen konnte, was ich vor meinem Tod gewesen war. Nur in meinem Herzen hatte ich diese Tatsache noch nicht akzeptiert. Dadurch aber, dass ich sie laut ausgesprochen hatte, sickerte sie nun ein. Jetzt war es nicht mehr möglich, sie zu ignorieren, für keinen von uns.
Außerdem war es besser, dass er von vornherein Bescheid wusste, denn so konnte er seine Gefühle für mich gegen die volle Summe meiner Komplexe abwägen. Das hatte er mehr als verdient.
Ich löste mich von seiner Schulter und sah ihn an. »Bereust du es, dass du gefragt hast?«
»Auf keinen Fall.« Sein bestimmter Tonfall versetzte mir einen Stich ins Herz. »Bereust du es, dass du es mir gesagt hast?«
»Nein.«
Er lächelte. Allerdings konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht so recht deuten. Lag darin etwa … Bewunderung? Das war unmöglich. »Ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, wie du die letzten Tage aus deiner Perspektive erlebt hast, Evy. Deine ganze Welt hat sich verändert, als du zurückgekommen bist, und ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht. Oder darüber, was für Auswirkungen es haben könnte, einen neuen Körper zu bewohnen. Du hast alles Recht darauf, Angst zu haben.«
Ich biss mir auf die Lippe, während ich mir die nächsten Worte überlegte. »Ich hasse es, nicht zu wissen, ob meine Gefühle für dich meine eigenen sind oder ob es ihre sind.«
»Ich dachte, du und sie wäret inzwischen ein und dieselbe.« Er berührte meine Wange und ließ die Hand von dort in meinen Nacken wandern. »Das alles sind nur Wortspielereien. Was du bist, hast du der Frau zu verdanken, die du warst, und der Frau, in der du jetzt lebst, und beide zusammen, das bist du.«
»Wortspielereien, was? Meine ganze Existenz dreht sich demnach nur um die Frage, was als Erstes da war? Das Huhn oder das Ei?«
»Wenn du es so ausdrückst, klingt es albern.«
»Es klingt genauso albern, wenn ich es auf meine Weise sage. Als du gestorben bist, hat sich alles verändert, Wyatt. Das hier bin ich jetzt, und ich muss die verdammte Vergangenheit hinter mir lassen und einfach nur … leben.« Ich fuhr mit dem Finger über seine Braue, über die Schläfe, über sein kantiges, mit Bartstoppeln übersätes Kinn.
»Dann lebe«, flüsterte er.
Ein leiser Schauder stahl sich meine Wirbelsäule entlang. »Willst du mir dabei helfen?«
Seine Antwort bestand darin, dass er den Kopf ein kleines bisschen schräg legte und zärtlich meinen Nacken streichelte. Sie bestand in seinen Lippen, die sich öffneten. Ich legte ihm meine andere Hand auf die Schulter und zog ihn an mich. Der erste Kuss war zögerlich, unsere Lippen streiften sich nur flüchtig. Dennoch lief ein Schauer durch meinen ganzen Körper, und ich spürte ein Kribbeln im Bauch.
Seine andere Hand wanderte zu meiner Hüfte und verweilte dort. Er wartete, dass ich zu ihm kam, und genau das tat ich schließlich, indem ich Besitz von seinem Mund ergriff. Ich ließ mich in seinen berauschenden Duft fallen, der meine Sinne überwältigte. Mir
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