Die Rache der Jagerin

schwindelig.
    Ich ging um die Tische herum zu der Stelle, an der Wyatt lag, der gerade wieder zu sich kam. Er hatte sich auf den Rücken gedreht und bemühte sich, die Augen zu öffnen.
    »Ganz ruhig, mein Held«, sagte ich, als ich mich neben ihm hinkniete.
    »Was hat mich da erwischt?«, grummelte er, während er ein Augenlid hob. Endlich traf mich sein Blick. Da öffnete sich schlagartig das andere Auge, und er starrte auf meine blutende Brust. »Himmel, Evy!«
    »Sieht schlimmer aus, als es ist.«
    »Das hättest du nicht tun sollen.«
    Ich verdrehte die Augen. »Ach, Wyatt, gern geschehen. Snow zu überwinden und dich zu retten war doch kein Problem.«
    »Ist er tot?«
    »Nein, nur bewusstlos, zeitweilig geblendet und an einen Tisch gefesselt. Pass auf ihn auf. Ich muss gehen.«
    »Evy …«
    »Bleib. Hier.«
    In seinen Augen blitzte Ärger auf. Ich erwiderte seinen Blick und war entschlossen, seinen Widerstand zu brechen, indem ich ihm zu verstehen gab, dass er sich aus der Gefahr heraushalten musste. Damit ich mich voll darauf konzentrieren konnte, Cole aufzuhalten und die Leute im Theater zu retten. Endlich sah ich in seinen Augen, dass er aufgab.
    »Muss ich dir erst sagen, dass du vorsichtig sein sollst?«, fragte er.
    »Nein, aber du darfst es.«
    »Sei vorsichtig.«
    Ich strich ihm mit dem Handrücken über die Wange. »Du auch.« Ich half ihm aufzustehen. Ein kurzer Blick auf die Rückseite seines Hemds zeigte mir, dass er nicht blutete. Seine Wunde war also nicht aufgebrochen. Dann reichte ich ihm das Nagelbrett.
    Doch er wollte es nicht nehmen. »Könnte sein, dass du es brauchst. Wo ist der Kristall?«
    Scheiße. Den hatte ich fast vergessen. Er lag noch immer auf dem Tisch neben der Tür. Ich ergriff den schlanken orangefarbenen Gegenstand und schrie auf, als es mir kribbelnd durch sämtliche Glieder fuhr.
    »Du darfst ihn nicht berühren«, sagte er.
    »Ach, meinst du?« Ich umfasste die Kette und schleuderte das Ding auf den Boden. Dann zertrat ich den Kristall mit dem Absatz, und dabei durchzuckten elektrische Stöße mein Bein bis hinauf in die Hüfte, als wäre ich auf ein Stromkabel getreten. Bis plötzlich nichts mehr zu spüren war. Wie eine Flutwelle brach die Verbindung zur Kluft, der mir vertraute Kräftestrom, über mich herein. »Ich hoffe, dass ich nie wieder so ein Scheißteil sehen muss.«
    Wyatt holte tief Luft. Wahrscheinlich war er über die neuerliche Verbindung genauso dankbar wie ich, womöglich sogar noch dankbarer. »Das Einzige, was schlimmer ist, als sie gar nicht zu fühlen, ist, wenn man sie zu stark fühlt«, sagte er mehr zu sich selbst.
    »Sie zu stark zu fühlen? Das kann vorkommen?« Jetzt erst fiel mir auf, dass wir kaum darüber gesprochen hatten, wie diese Sache mit der Gabe funktionierte, abgesehen von der offensichtlichen Tatsache, wie man die Kluft anzapfte. Dieses Gespräch musste ich mir in meinen überfüllten Terminkalender schreiben.
    »Nicht oft, aber heftige Kraftstürme können deine Kontrolle beeinträchtigen.«
    Aha.
    Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und zwickte sich ins Nasenbein. »Mir fällt es schwer zu glauben, dass Cole mit Tovin gemeinsame Sache gemacht hat und dass er von Anfang an daran beteiligt war.«
    »Der Verlust einer geliebten Person kann den vernünftigsten Menschen zu den unglaublichsten Taten verleiten.« Was nicht hieß, dass damit alles entschuldigt wäre.
    »Der Punkt geht an dich. Schau, ich weiß, dass du mir noch böse bist …«
    »Okay, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.« Ich legte meine rechte Hand flach auf seine Brust, so dass ich seinen Herzschlag spüren konnte. Die Worte, die ich Snow gegenüber in der Hitze des Gefechts laut ausgesprochen hatte, blieben mir erneut im Hals stecken. »Sei … einfach mein Handler, der hierbleibt, während ich dem Bösewicht hinterherjage und ihn durchprügle.«
    »Ich dachte, wir wären Partner.«
    »Wir sind Partner, sobald du dich von der Operation und deiner Gehirnerschütterung erholt hast. Du hast nicht meine Heilkräfte.«
    »Auch du bist nicht unverwundbar, Evy.«
    »Glaube mir, die stechenden Schmerzen in den Schultern und in meinem Hintern lassen mich das nicht vergessen. Vor zehn Jahren warst du vielleicht ein Jäger, aber dieser Kampf gehört mir. Ich kümmere mich um Cole.«
    Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass er hier warten würde, aber ich hatte auch keine Zeit mehr, mit ihm über meine Entscheidung zu diskutieren. Ich hätte ihn bewusstlos