Die Rache der Jagerin
schlagen können, aber sein Gehirn war für dieses Wochenende schon genug durchgeschüttelt worden. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf das Beste zu hoffen.
»Ein Kuss, um mir Glück zu wünschen?«, fragte ich.
Ohne weitere Einwände drückte er mir den Mund auf die Lippen. Ich öffnete sie, um ihn einzulassen und ihn zu schmecken. Mit meinem Mund versprach ich ihm, was ich mit Worten nicht ausdrücken konnte. Es war nur kurz, und danach war ich von einem Kribbeln erfüllt. Voller Spannung. Bereit, für jede kleinste seiner Berührungen zu kämpfen.
»Viel Glück«, sagte er.
Mit dem Nagelbrett in der Hand umging ich den Holzhaufen und lugte zur Tür hinaus. In unmittelbarer Nähe war niemand zu erkennen. Keine Stimmen waren zu hören, nur die fernen Geräusche der Stadt und – noch ein Stück weiter weg – Musik. Wahrscheinlich von der Benefizveranstaltung. Ich schlüpfte hinaus und schlich nach Norden, während ich mich dicht an der Außenwand des Wintergartens hielt. Am Ende des Wintergartens spähte ich vorsichtig um die Ecke. Ein Geruch schlug mir entgegen, der Brechreiz erregte.
Eleri lag zusammengesunken in ihrem eigenen Blut, einer dunklen, zähen Flüssigkeit, die nach einem alten Keller roch. Mit letzter Kraft hielt sie beide Hände auf die Kehle gepresst, um den Blutverlust zu stoppen, doch ihre lilafarbenen Augen waren bereits matt. Ihr weißes Haar hatte sich rot gefärbt, und ihre porzellanweiße Haut wirkte beinahe durchsichtig.
Richtige Vampire starben selten an Blutverlust, wenn nicht jemand mit einem Antigerinnungsmittel nachhalf. Um ihre vollen Kräfte zurückzuerlangen, brauchte sie Nahrung. Doch ich dachte nicht im Traum daran, ihr etwas von mir anzubieten. Mich zu infizieren hätte mir gerade noch gefehlt. Ich bezweifelte auch, dass meine Heilkräfte Vampirparasiten abwehren konnten.
»Cole?«, fragte ich, blieb aber in sicherer Entfernung vor ihr stehen.
Sie nickte. Nachdem der Blick ihrer großen Augen einmal auf meine blutüberströmten Klamotten gefallen war, konnte sie ihn nicht mehr davon abwenden. Entweder hatte Cole herausgefunden, dass sie für jemand anders arbeitete, oder er hatte für ihre Dienste keinen Bedarf mehr. Ersteres war angesichts seiner Rekrutierungsmethoden wahrscheinlicher. Verräter mussten ausgemerzt werden.
»Phin.« Mir krampfte sich der Magen zusammen. »Ist Phin noch bei ihm?«
Ihr schwaches Kopfschütteln musste bedeuten, dass sie es nicht wusste, entschied ich. Die andere Möglichkeit wollte ich lieber nicht in Betracht ziehen. Außer ihr war auf dem Dach niemand zu sehen. Keine Spur von dem einstigen Jäger und seiner Coni-Geisel. Ich konnte mich nicht um Eleri kümmern, und ich hoffte, dass sie es nicht als ein Zeichen von Feindschaft auffasste, wenn ich sie im Stich ließ. Es sei denn …
»Weiß Isleen, was heute Abend geschehen soll?«, wollte ich wissen. Wieder ein Kopfschütteln, das ich als ein Nein interpretierte. Zu schade, dass es kein Notsignal gab, mit dem ich Vampirverstärkung anfordern konnte.
Zügig suchte ich das restliche Dach ab, fand aber keine Spur von ihnen. Von der nördlichen Ecke hatte ich eine gute Sicht auf das Spektakel, das sich bei der Benefizveranstaltung abspielte. Die Leuchtschrift des Theaters war eingeschaltet und wies mit großen Druckbuchstaben auf das Ereignis hin. Aus den Fenstern des Foyers drang rotes, goldenes und weißes Licht. Entlang der Straße parkten schicke Autos und Limousinen. Draußen hingen nur eine Handvoll gut gekleideter Nachzügler herum, die sich unterhielten oder rauchten. Von dort kam auch die Musik – irgendein Big-Band-Kram, der mich immer an kaputte Trompeten erinnerte.
Das Ganze wirkte völlig harmlos, denn die Leute waren sich der Gefahr, in der sie schwebten, nicht bewusst. Keiner der Gäste konnte sich ausmalen, dass er bald Teil eines Halbvampbuffets werden sollte. Diesen falschen Frieden hatte auch ich einmal kennengelernt – damals, als ich unruhig in Danikas Schlafzimmer gelegen hatte, während die Triaden Sunset Terrace umzingelt hatten. Sie hatten dieselbe Zerstörung gebracht, die Coles Miliz nun im Parker’s Palace geplant hatte.
Ein weiteres Massaker wollte ich mir nicht mit anschauen.
Schräg rechts, vom Theater aus an der nächsten Straßenecke, stand eine Telefonzelle. Auf diese Stelle konzentrierte ich mich, schloss die Augen und glitt in die Kluft. All meine Wunden brannten, und mit Ziehen und Zerren meldeten sich meine Schmerzen zurück. Mein Kopf tat weh
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