Die Rache der Jagerin
verbranntem Fleisch. An Luftholen war gar nicht zu denken.
Ich bin nicht bereit, schon wieder zu sterben, schrie es in mir. Kurz schossen mir Bilder von Jesse und Ash durch den Kopf, die auf mich zu warten schienen. Doch bald wurden sie von vollkommener Dunkelheit vertrieben.
5. Kapitel
Vor vier Jahren
D as kann unmöglich die richtige Adresse sein. Aber es ist zu spät, mich beim Taxifahrer zu vergewissern, denn der ist bereits die Straße entlanggedonnert und im Verkehr untergetaucht. Er weiß sehr wohl, dass man bei Dunkelheit besser nicht in dieser Ecke von Mercy’s Lot herumhängt. Dabei klingt Cottage Place so friedlich und beschaulich. Denkste.
Um mich herum befinden sich lauter alte Geschäfte, deren Schaufenster und Türen mit Gittern und wenig beeindruckenden Alarmanlagen gesichert sind. Auf den unebenen Gehwegen sammelt sich Unrat aus überquellenden Mülleimern. Das Striplokal auf der anderen Straßenseite lädt mit seinem Neonblinklicht zwielichtige Gestalten ein. An den Ecken drücken sich genauso viele Nutten wie Freier herum und halten nervös Ausschau nach einer Polizeistreife.
Als ob hier jemals eine vorbeifahren würde.
Das Taxi hat mich vor einem kleinen Juweliergeschäft namens »Verwirrspiel« abgesetzt. Der Name macht mich neugierig, und ich nehme mir vor, ihm später nachzugehen. Ich steuere auf mein Ziel rechts neben dem Laden zu. Die schattige Nische dort stellt wahrscheinlich den Eingang in ein Treppenhaus dar, das zu einigen billigen Wohnungen hinaufführt. Zu meinem neuen Zuhause.
Ich nehme die Plastiktüte, die mein gesamtes Leben enthält, von der rechten in die linke Hand. Darin befinden sich zwei Zackenmesser, die jeweils in einer Scheide stecken und von einigen Klamotten zum Wechseln eingewickelt sind. Sie waren so etwas wie mein Prüfungsgeschenk. Dazu habe ich den Umschlag bei mir, den ich meinem Handler, Wyatt Truman, überreichen soll. Schon der Name hört sich nach einem Arschloch an, und wenn Handler ähnlich drauf sind wie die Ausbilder im Lager, dann werde ich diesen Typen abgrundtief hassen.
»Wie viel nimmst du fürs Blasen?«, erklingt die lallende Stimme eines Betrunkenen.
Ich beachte ihn nicht und höre nicht, was die Prostituierte antwortet, die er angesprochen hat, sondern schlendere auf den Eingang zu. Schließlich gehen mich ihre Preise nichts an. Da schiebt sich mir eine bucklige Gestalt in den Weg. Von dem Gesicht kann ich nur fleischige Kiefer und gelbe Zähne erkennen. Aus dem Mund schlägt mir eine Rumfahne entgegen. Angewidert bleibe ich stehen.
»Was soll das, du Flegel?«, sage ich.
»Ich habe gefragt, wie viel du fürs Blasen nimmst.«
Ohne dass ich es verhindern kann, fällt mir die Kinnlade herunter. Na schön, meine Shorts sind vielleicht etwas zu kurz – ich habe die Beine dafür, also kann ich auch damit angeben –, und ich trage ein blaues bauchfreies T-Shirt, aber Himmelherrgott! »Frag mich das noch einmal.«
Er blinzelt mit trägen Augenlidern, ohne die Warnung aus meinen Worten herauszuhören. »Wie viel willst du für einen verfickten Blowjob, Süße?«
Ich trete näher an ihn heran, was er missversteht und deshalb nichts unternimmt, um sich zu schützen. Ich ramme ihm das Knie in den Schritt, woraufhin der Alki heulend auf die Knie fällt. Niemand kümmert sich darum. Ich gehe um ihn herum, in den Durchgang und an einer Reihe metallener Briefkästen entlang. Dann steige ich die schlecht beleuchtete Treppe hinauf.
Hier riecht es nach Schweiß, aber ansonsten ist das Treppenhaus sauber. Oben angekommen, stehe ich in einem kurzen Flur, von dem sechs dicke Metalltüren abgehen. Ich trete vor die Nummer vier, hebe die Hand, um anzuklopfen, zögere aber.
Wenn ich da hineingehe, wird sich mein Leben verändern. Das Ausbildungslager war eine Alternative zum Gefängnis gewesen, und ich habe jede Sekunde gehasst, die ich dort verbringen musste. Ich habe die brüllenden Ausbilder verabscheut, die qualvollen Trainingseinheiten und die psychische und körperliche Erschöpfung. Ich verabscheute auch den Umstand, dass wir töten sollten, um zu überleben. Und doch gab es eine Seite in mir, der das gefiel. Der es gefiel, zum ersten Mal in ganzen achtzehn Jahren irgendwo dazuzugehören. Der es gefiel, dieses Leben nun selbst in der Hand zu haben. Ich mochte das Training, bei dem ich lernte, jedem weh zu tun, der mir weh tun wollte. Und ich schätzte die Fähigkeit, mich selbst verteidigen zu können.
Mit diesen neugewonnenen Fertigkeiten
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