Die Rache der Jagerin
einem überfüllten Aktenschrank vorbei und gelangte durch einen geschmacklosen Perlentürvorhang in einen kurzen Flur, in dem es nach Schweiß, Moder und Feuchtigkeit roch. Nach zwei Metern schloss sich rechts ein Umkleideraum an, aus dem Gelächter drang. Jemand erzählte einen Witz über eine Frau und sechs Vampire. Ohne Schwierigkeiten huschten wir am Eingang vorbei, da unsere Schritte von den Gummimatten auf dem Boden gedämpft wurden. An den nachlässig gestrichenen Wänden hingen vergilbte Plakate, die Kämpfe und Amateurnächte mit Sätzen bewarben wie: »Überlebe drei Minuten lang und gewinne hundert Dollar.«
Einige Meter weiter knickte der Gang nach rechts ab und führte in den eigentlichen Fitnessbereich. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen, während ein Adrenalinstoß meinen Puls um ein paar Schläge beschleunigte. Ich ballte die Hand zur Faust und öffnete sie wieder. Die Knöchel ließ ich allerdings nicht knacken: Ich wusste ja, dass Vampire einen ausgezeichneten Gehör- und Geruchssinn hatten. Bei Halbvamps waren diese Fähigkeiten zwar nicht ganz so stark ausgebildet, aber es überraschte mich trotzdem, dass uns niemand bemerkt hatte. Noch nicht.
Ich schaute über die Schulter zu Phin, der mir wie ein Schatten folgte. Seine Züge waren angespannt und wachsam wie die eines Jägers. Die Arme hatte er seitlich angewinkelt, die Schultern hochgezogen, und er hielt sich kerzengerade. Als sich unsere Blicke trafen, deutete er ein leichtes Nicken an. Ich spürte einen Luftzug und bemerkte, wie Phin seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtete und sich seine Augen ein klein wenig weiteten. Scheiße.
Ich drehte mich um und duckte mich. Der Schlag sauste über meinen Kopf hinweg, und ich rammte meine Faust in den bloßen Waschbrettbauch eines Typen, der sich keuchend krümmte. Und dabei auch noch meine linke Faust zu spüren bekam. Mir taten die untrainierten Knöchel weh. Mein zweiter Schlag ließ ihn seitwärts gegen die Wand fliegen, und der dumpfe Aufprall kündigte unsere Ankunft recht lautstark an.
Die Stimmen von etwa einem Dutzend Männer erhoben sich, und die Musik verstummte. Leder knallte auf Leder, Füße landeten klatschend auf Gummimatten. Ich stieg über meinen ersten Angreifer hinweg, der zusammengerollt auf dem Boden lag, und betrat das Studio. Dort stand ich fünfzehn muskulösen Männern gegenüber.
In der Mitte der Halle befand sich ein Boxring, und die Seile, die ihn umgaben, waren das Einzige in dem Raum, das nicht älter als zehn Jahre war. Abgesehen davon gab es nur fleckige und geflickte Boxsäcke, rostige Gewichte, ausgefranste Taue und jede Menge Matten. Die Männer hatten sich in der ganzen Halle verteilt. Alle wiesen dieselben weißen Flecken im Haar auf und hatten helle, silbern schimmernde Augen. Halbvamps, wie ich gehofft hatte.
Links hinter mir stand Phin. Ich wünschte mir, dass Wyatt mir den Rücken deckte, anstatt im Krankenhaus zu liegen. Eine solche Rauferei hätte ihm Spaß gemacht.
Keiner griff an. Eine halbe Minute lang rührte sich niemand.
»Lasst euch von mir nicht unterbrechen«, sagte ich.
Ein paar der Typen wechselten Blicke, doch die meisten starrten mich unverwandt an. Nicht gerade die hellsten Köpfe.
Schließlich drängte sich einer von ihnen nach vorn durch. Seine muskulösen Arme und Beine waren mit kunstvollen Tätowierungen überzogen, die unter seinen Shorts und dem Feinrippunterhemd verschwanden. Selbst sein Nacken war tätowiert. Da er sich den Schädel kahlrasiert hatte, waren die weißen Haarflecken nur in dem langen, zotteligen Bart zu sehen, der bestimmt ein Jahr schon nicht mehr gestutzt worden war. Er ließ die mit Boxtape umwickelten Knöchel knacken und stemmte die Hände in die Hüften.
»Wer zum Teufel bist du?«, fragte er. Seine tiefe, donnernde Stimme passte zu seiner mächtigen Statur.
»Würdest du mir glauben, dass ich eine Sportagentin auf der Suche nach neuen Talenten bin?«
»Scheiße, nein.«
»Ein Mann, der genau meine Sprache spricht.«
Er zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Ich wiederhole: Wer zum Teufel bist du?«
Ich neigte den Kopf zur Seite. »Nur eine besorgte Bürgerin, die die Gegend abklappert, um herauszufinden, wer etwas über den Halbvamp weiß, der sich heute Morgen im St.-Eustachius-Krankenhaus herumgetrieben hat. Er hatte eine Fünfundvierziger dabei, eine Handgranate und die ganz falsche Einstellung.«
»Keine Ahnung.«
Die Antwort war viel zu schnell gekommen. Ich war sicher,
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