Die Rache der Jagerin
Fahrzeugen in dieser Gegend fehlten teilweise die Radkappen, oder die Ersatztüren hatten eine andere Farbe als der Rest. Obwohl dieselbe Sonne auf diese Straßen herabschien, wirkte die Luft hier grauer und alles ein bisschen dunkler.
»Was ist das für ein Geruch?«, fragte er, während wir über den verdreckten Gehweg an Schaufenstern vorbeigingen, die mit Zeitungen verhängt waren. Dazwischen leuchtete die Neonreklame von Sexshops auf.
Durch die Nase sog ich die vertrauten Gerüche ein: Motorenöl, verdorbene Abfälle aus überquellenden Mülleimern, Schweiß und Ausdünstungen von ungesunden Körpern mit ungesunden Seelen. »Riecht nach Zuhause«, erwiderte ich.
Er betrachtete mich von der Seite, als wollte er prüfen, ob ich es ernst meinte. Mit einer Schulter deutete ich ein Achselzucken an. Schrottkiste hin oder her: Die Wohnungen in der Sunset Terrace hatten genau zwischen dem schönen und dem hässlichen Teil von Mercy’s Lot gelegen. Und irgendetwas sagte mir, dass die Kauzlinge äußerst selten Ausflüge auf diese Seite unternommen hatten.
Als wir bei der nächsten Kreuzung ankamen, bog ich links in eine Einbahnstraße ein. Auch hier säumten parkende Autos die Fahrbahn, und aus dem Gehweg sprossen Gras und Löwenzahn. Ein Stück weiter unten gelangten wir an eine mit Eisenstäben verstärkte Holztür. In schwarzen Lettern war das Wort »Fitness« darauf gemalt, wobei die uralte Farbe zum größten Teil längst abgeblättert war. Von außen gab es keine Klinke. Ein wummernder Bass dröhnte zu uns heraus – das einzige Anzeichen, dass in dem Gebäude Leben war.
»Sollen wir anklopfen?«, fragte Phin.
»Ich nehme nie die Vordertür«, antwortete ich und ging weiter, bis ich an der Ecke des Hauses angekommen war. Es stand dicht neben dem nächsten schmutzigen Ziegelbau, und in der schmalen Gasse dazwischen lagerten überlaufende Mülltonnen und verschimmelte Kartons voller Abfälle. Mich juckte es in der Nase von dem starken Fäulnisgeruch, der in der Luft hing.
»Bitte sag mir, dass hier ein Restaurant in der Nähe ist«, flüsterte er.
»Warum das?«
»Weil es hier nach verwesendem Fleisch riecht und ich mir gern einreden würde, dass es bloß irgendwelche Steaks von gestern sind.«
Lachend schüttelte ich den Kopf. »Tut mir leid, dass ich deine Illusionen zunichtemachen muss: Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine ganze Armee von streunenden Tieren. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass es in dieser Stadt erstaunlich wenige Ratten, Mäuse, ausgesetzte Köter und ausgerissene Katzen gibt?«
Er wurde blass. Ich hätte sogar schwören können, dass sein Gesicht für einen Sekundenbruchteil grün geworden war. »Weißt du was, Phin? Für jemanden, der ums Verrecken seinen Clan rächen und sich in meine Arbeit einmischen will, kennst du dich mit den anderen Kreaturen, die hier leben, überraschend schlecht aus.«
»Dann kläre mich auf.«
Das war sowohl eine Bitte als auch eine Herausforderung. »Gerne. Folge mir.«
Ich hatte keine Ahnung, wie er sich in einem Kampf anstellen würde oder ob er sich gegen einen durchgeknallten Halbvamp, der sich mit gefletschten Zähnen auf ihn stürzte, wehren könnte. Höchste Zeit, das herauszufinden. Ich schlängelte mich an den ekelerregenden Müllbergen vorbei zur Hintertür, auf die in mehreren Varianten »Draußen bleiben« oder »Kein Zutritt« gekritzelt war. Ich griff nach dem Knauf, drehte ihn – und die Tür ging auf.
Drinnen hingen Schwaden von Zigarettenqualm in der kalten Luft, und wir wurden von dröhnender Musik und dem stechenden Geruch von Blut empfangen. Im kleinen Hinterzimmer befand sich das Büro des Besitzers. Seinen richtigen Namen kannte ich nicht, aber ich wusste, dass er sicherlich nicht Mike hieß. In dem Raum türmten sich Kisten mit allem möglichen Zeug: Mäntel, Brieftaschen, Baseballmützen, Boxhandschuhe, Sporttaschen, Schuhe, alle möglichen Kleider sowohl von Männern als auch von Frauen. Wahrscheinlich waren die Sachen ahnungslosen Opfern abgenommen worden, die mutig genug gewesen waren, hier anzuklopfen, weil sie ins Fitnessstudio gewollt hatten.
Vor einiger Zeit hätte dies einen ausreichenden Beweis dargestellt, um den Ort durch die Triaden von allen Dregs säubern zu lassen. Heute hatte ich allerdings nicht die Zeit, mich darum zu kümmern. Immerhin nahm ich mir vor, meine Entdeckung an Kismet oder Baylor weiterzugeben, falls einer der beiden Handler Lust hatte, hier ein Exempel zu statuieren.
Ich ging an
Weitere Kostenlose Bücher