Die Rache der Jagerin
bitte die Ältesten der Zusammenkunft ein«, beschwor Phin ihn. »Sagen Sie der Zusammenkunft, was wir Ihnen berichtet haben, und lassen Sie sie entscheiden. Das hätte zumindest den Effekt, dass die anderen Zweifachwandler auf eventuelle Probleme vorbereitet wären.«
Jenner nahm seine Hände herunter und ließ sie unter dem Tisch verschwinden. Danach setzte er sich etwas aufrechter hin, und seine bisherige Verachtung schien ein wenig nachzulassen. »Ich werde die Zusammenkunft davon in Kenntnis setzen, aber ich kann nichts versprechen. Wahrscheinlich wird sie dafür stimmen, die Angelegenheit nicht nach außen dringen zu lassen. Denn die Clans mögen es nicht, ihre Schwächen bekanntzumachen.«
Ich schnaubte. »Angesichts dessen, was letzte Woche geschehen ist, wird man das wohl kaum noch verheimlichen können.«
»Dennoch kann ich Ihnen keine Versprechungen machen, was die Entscheidung betrifft.«
»Wir sind hier extra so weit herausgefahren, um am Ende nichts von ihm zu erfahren?«, fragte ich Phin. »Hätten wir das nicht telefonisch erledigen können?«
»Telefonate können abgehört werden«, wandte Jenner ein. »Meine Praxis dagegen ist sicher, was ich von anderen Orten nicht behaupten kann.«
Na schön, das war ein gutes Argument. Verdammt. Aus einer Tasse neben der Schreibunterlage nahm ich einen Stift und kritzelte eine Telefonnummer auf seinen Kalender, direkt unter einen Termin der vergangenen Woche. »Wenn Sie frohe Neuigkeiten haben, rufen Sie bitte an«, sagte ich. »Ansonsten bleiben Sie mir vom Leib.«
Er stand auf, und da fiel mir erst wieder auf, wie groß er tatsächlich war. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu schauen. Ich war unruhig, da ich nicht wusste, was er vorhatte. Doch seine leeren Hände hingen locker an seiner Seite, und er bot mir keinen Händedruck an. »Die Antworten, nach denen Sie suchen, sind womöglich gar nicht so tief verborgen, wie Sie glauben, Miss Stone«, meinte er. »Wir sind nicht komplexer als ein schlichtes Märchen.«
Mehrere Male drehte und wendete ich diesen Satz in meinem Geist, konnte ihm aber keinen Sinn abgewinnen. Ein beiläufiges »Viel Glück« oder selbst ein »Machen Sie, dass Sie fortkommen« hätte mir vollauf genügt. Rätsel dagegen nervten mich.
»Ja, na gut«, erwiderte ich.
»Danke, dass Sie uns empfangen haben«, sagte Phin.
»War das nötig, dich bei ihm zu bedanken?«, fragte ich Phin, nachdem wir das Büro des Pflichtverteidigers verlassen hatten und im Sonnenlicht auf den Straßen der Innenstadt standen.
»Geradeheraus unhöflich zu sein gehört nicht zu meinem Repertoire, Evy«, gab er zurück.
Ich verdrehte die Augen und lehnte mich gegen das Auto. »Jetzt sind wir da, wo wir vorher waren: also nirgendwo. Die Zusammenkunft ist ein Reinfall, und meine einzige andere Spur wird frühestens morgen Abend irgendetwas Sinnvolles liefern.«
»Die investigativen Mittel hast du ziemlich ausgeschöpft, aber wie wäre es mit einer etwas direkteren Methode?«
»Will heißen?«
»Wen hast du auf der Liste der Verdächtigen?«
»Die Liste derer, die ich nicht verdächtige, ist um einiges kürzer.«
»Dann lass uns die mal eingrenzen.«
»Wie willst du das machen? Von Tür zu Tür gehen und Fragen stellen?«
»Wenn du einen Apfel möchtest, darfst du keinen Pfirsichbaum schütteln.«
Ich erbleichte, und Phin lächelte.
Vor fünfzig Jahren hatte der Eisenbahnwaggon ein beliebtes Restaurant beherbergt. Die einst glänzend silbernen Wände hatten ein düsteres, stumpfes Metallgrau angenommen. Die Fensterreihen und die Tür mit dem gewölbten Sturz waren mit Brettern verrammelt, so dass von den einst bunten, strahlenden Scheiben nichts zu sehen war. Eine weitere heruntergekommene Sehenswürdigkeit, die nun zwischen einem wagemutigen Feinkostladen und einem Blumenladen dahindümpelte.
Ich hatte keine Ahnung, weshalb Phin mich hierhergebracht hatte.
Er ging die gesprungenen Betonstufen zu der Tür hinauf, die mit einem rostigen Vorhängeschloss gesichert war, und fasste nach dem Knauf.
»Äh, Phin«, sagte ich.
Ohne das Knarren verrosteten Metalls von sich zu geben, ließ sich der Knauf drücken. Meine Fresse, ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich das Ding überhaupt drehte. Dabei verschwand das Vorhängeschloss, als sei es nie da gewesen. Aus dem Innern drangen Licht, Musik und der appetitanregende Duft von Pommes und Burgern heraus. Mir klappte die Kinnlade herunter.
Phin nahm mich an der Hand und
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