Die Rache der Jagerin
sich zu teleportieren? »Genau.«
Er legte den Kopf schräg und nickte. Ich streckte die Hände aus, die Handflächen nach unten gerichtet. Er ergriff sie, und wir hielten uns gegenseitig fest.
»Das wird sich komisch anfühlen«, kündigte ich an.
Ich schloss die Augen und hatte keine Ahnung, ob er es mir gleichtat oder nicht. Das sachte Summen der Kluft drang schnell an die Oberfläche und sprang beinahe von alleine an die Spitze meines Bewusstseins. Ich erfasste die Kraftfäden und suchte in mir nach der vertrauten Einsamkeit, meinem emotionalen Zugang zur Kluft. Ich rief mir in Erinnerung, wie ich Wyatt heute früh fast zum zweiten Mal verloren hatte und dass er nicht an meiner Seite kämpfte, wie es eigentlich hätte sein sollen. Und daran, dass ich gegen die Triaden arbeitete, obwohl ich vorgab, für sie zu handeln – denn sie waren für mich das, was einer Familie am nächsten kam.
Die Welt verschwamm und verschwand mit einem Schlag. Alles schien sich in einer schimmernden Wolke aufzulösen, und wir trieben dahin. Noch immer hielt mich Phins starke Hand. Da fuhr mir ein stechender Schmerz in den Bauch, schoss durch meine Eingeweide und die Wirbelsäule hinab bis zu meinen Zehen. Von dort raste er pochend und kreischend in meinen Kopf, als wir feste Gegenstände passierten. Ich wollte schreien, hatte aber keine Stimme.
Ich stemmte mich gegen die Schmerzen und konzentrierte mich auf das Auto und den Gehweg. Endlich spürte ich wieder festen Boden unter den Füßen. Aus meiner Nase rann Blut und tropfte auf meine Unterlippe. Alles schwankte. Um meine Taille schlangen sich kräftige Arme, und ich sackte gegen Phins Brust. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er platzen, ich schnappte keuchend nach Luft.
»Du hast recht«, sagte Phin leise. »Das hat sich komisch angefühlt.«
Ich schnaubte, woraufhin mir erneut eine Welle aus Schmerz in die Schläfen fuhr. »Hab’s dir doch gesagt.«
»Willst du dich hinsetzen?«
»Nicht nötig.« Um es ihm zu beweisen, öffnete ich die Augen und machte mich von ihm los. Mir schwindelte ein wenig. Um das Blut wegzuwischen, fuhr ich mir mit dem Handrücken über die Lippe. Mein Körper fühlte sich an wie unter Strom – so als würde er jeden Augenblick auseinanderfallen.
Ungläubig betrachtete Phin mich. »Bist du bereit, deine Rolle zu spielen?«
»Mit Absätzen und einem knappen Röckchen würde ich wahrscheinlich etwas überzeugender rüberkommen, aber ich komme schon zurecht.«
»Ich finde, in Jeans und Sneakers bist du schon ziemlich sexy.«
Diese spontane Schmeichelei ließ mich erröten, und ich konnte nichts dagegen tun. Warum in alles in der Welt errötete ich? Wegen eines kleinen Kompliments? Ich rollte mit den Augen. Um meine Würde zu retten, war es ohnehin zu spät. »Wie auch immer. Bist du bereit?«
»Fast. Aber bitte ohrfeige mich nicht dafür.«
»Was …?« Seine Lippen bedeckten meinen Mund, bevor ich die Frage vollenden konnte, und es verschlug mir den Atem. Sofort legte ich ihm die flachen Hände auf die Brust, doch schob ich ihn nicht von mir weg. Seine Lippen waren weich, seine Küsse aber kraftvoll, und sein Herz hämmerte wild unter meinen Fingern. Sein Duft erfüllte meinen Mund, süß, kräftig und herb wie ein Gebirgsfluss – genau so, wie man sich einen Raubvogel vorstellte.
Mit einem Arm umfasste er mich und drückte mich an sich, so dass ich auf den Zehenspitzen stand. Eigentlich hätte ich von dieser Zudringlichkeit entrüstet sein müssen. Hätte ihn von mir stoßen und ohrfeigen müssen, auch wenn er mich gebeten hatte, es nicht zu tun. Vieles hätte ich tun sollen, was ich jedoch nicht tat, weil ich völlig in den Bann dieses Kusses geschlagen war. Dieses Kusses, der keinerlei sexuelles Gepäck mit sich brachte.
Phin ließ mich los, und ich taumelte keuchend zurück. Meine Wangen glühten, und ich machte große Augen.
»Jetzt sag mir nicht, dass du das getan hast, weil es Glück bringt«, sagte ich und brachte kaum mehr heraus als ein Flüstern.
Er schüttelte den Kopf und schlug verlegen die Augen nieder. »Nicht deshalb. Therianer haben einen ausgeprägten Geruchssinn. Niemand hätte uns für ein Pärchen gehalten, wenn wir nicht, äh, gleich riechen würden.«
Ich blinzelte. »Tja, das ist einerseits logisch, aber auch irgendwie widerlich.«
Sein Mund zuckte. »Der Kuss oder der Grund dafür?«
Mein Instinkt hatte sofort eine bissige Bemerkung parat, die ihn verletzen sollte, damit er nicht auf den Gedanken kam, der
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