Die Rache der Jagerin
ich ihm das angetan. Aber sein Blut … oh, sein Blut riecht so süß. Ständig hat es so süß gerochen.«
Mit erhobenem Katana macht Ash einen Schritt auf sie zu. »Rebecca, wann hast du dich infiziert?«, fragt sie.
Gesprenkelte und vor Erstaunen große Augen starren Ash an. »Ich glaube, vor zwei Wochen.«
Das passt zu der Geschichte des Nachbarn. Rebecca steckt sich an, und ihr Freund will ihr über die körperlichen und seelischen Veränderungen, die sie durchmacht, hinweghelfen. Nur dreht sie dabei durch und verteilt ihn über ihre ganze Wohnung, wie es ihrer neuen Natur entspricht. Armer Junge, so blind vor Liebe. Zu schade, dass er nicht wusste, dass es für eine Halbvampinfektion keine Heilung gibt.
»Ich wollte Bradford nicht weh tun«, schluchzt Rebecca. »Wirklich nicht. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn so sehr, und ich wollte, dass er ein Teil von mir wird. Wollte diese neue Erfahrung mit ihm teilen, aber er hat es nicht zugelassen. Er sagte, er wolle mir helfen, aber er wolle niemals zu dem werden, was ich bin.«
Nun bin ich doch etwas verwirrt und starre sie ratlos an. Woher wusste Bradford, was sie ist? Viele Menschen werden von Popkultur und Fehlinformationen dazu verleitet, Vampirismus cool zu finden. Als ginge es lediglich um Unsterblichkeit, heißen Sex und Wollust. Dabei macht sich keiner eine Vorstellung davon, wie gewaltsam die Verwandlung für einen Menschen ist. Niemand kommt auf die Idee, dass echte Vampire nichts Menschliches an sich haben. Und auch niemals Menschen waren. Meine Fresse, als ich all das im Ausbildungslager erfahren musste, war ich selbst mächtig schockiert!
»Er hätte es besser wissen müssen«, meint Ash. »Er hätte dich gleich in dem Moment töten sollen, als er gemerkt hat, dass du infiziert bist.«
Okay, jetzt bin ich vollends verwirrt. Gerade will ich losfragen, als sich die Puzzleteile allmählich zusammenfügen. Erkennen, Wissen, Konsequenzen. Erneut betrachte ich das Gesicht des Toten und achte auf sein Alter. Er war ungefähr so alt wie ich. Die Überreste seines Körpers sind durchtrainiert, er besaß die Statur eines Kämpfers. So wie wir.
»Heiliger Bimbam«, sage ich. »Er ist ein Jäger.«
Als wäre meine Stimme ein Startschuss, lässt Ash das Schwert herabsausen und trennt Rebecca fein säuberlich den Kopf ab. Dickes, lilafarbenes Blut spritzt hervor, und Ash macht einen Satz nach hinten. Zwei leblose Körper sacken auf dem Bett zusammen, während Ash an mir vorbei hinausgeht. Allerdings nicht so schnell, dass mir die Tränen in ihren Augen entgehen würden.
»Dieser dumme Dreckskerl«, seufzt Jesse.
Ich kann den Blick von dem Bett und den Leichen der beiden nicht abwenden. Sie hatten sich im wahrsten Sinne des Wortes bis in den Tod geliebt. »Das begreife ich nicht«, wundere ich mich.
»Er hat seine Arbeit nicht erledigt. Er hat sie nicht getötet, als er herausfand, dass sie infiziert war. Ganz einfach.«
»Nein, das verstehe ich schon.« Erhitzt, verwirrt und voller Übelkeit schaue ich ihn an. »Ich kapiere nicht, wieso er sie nicht getötet hat. Er wusste doch, dass sie ein Ungeheuer war und irgendwann über ihn herfallen würde. Wir sind Jäger. Man hat uns beigebracht, den Dregs auf keinen Fall zu trauen.«
Er zog eine Schulter nach oben. »Vermutlich hat er in ihr keinen Dreg gesehen, sondern nur eine Frau, die er liebte. Was trotzdem total bescheuert von ihm war.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Es ist nicht leicht, jemanden zu töten, den man liebt.« Im Vorbeigehen drückt Jesse mir die Schulter. »Selbst wenn du weißt, dass du ihnen mit dem Tod einen barmherzigen Gefallen tust.«
Ich nage an meiner Unterlippe. »Hey, Jesse?«
Er dreht sich mit hochgezogenen Brauen zu mir um. »Ja?«
»Wenn ich einmal gebissen werden sollte, versprichst du mir dann, barmherzig zu sein?«
»Versprochen.« Er zieht an einer Locke meines kurzen blonden Haars. »Dasselbe gilt für mich. Ich will keines dieser Scheißviecher werden. Niemals.«
»Abgemacht.«
Für einen weiteren Moment bleibe ich in dem Schlafzimmer, bevor ich zu meinen Teamkameraden hinausgehe. Es ist Zeit, einen Bericht zu verfassen und die Sauerei wegzuräumen. Ich weiß nicht, zu welcher Triade Bradford gehörte, und ich beneide seine Kameraden nicht um den Schmerz, wenn sie herausfinden, was er getan hat. Oder auf welch grässliche Art er gestorben ist. So schrecklich die Sache ist, sie ist auch eine gute Lektion für jeden Jäger, der in der Stadt für Ordnung zu sorgen
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