Die Rache der Jagerin
mir in die Augen, und zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt hatte, konnte ich nichts in seinem Blick lesen. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was er dachte oder vorhatte. Als wäre jeder Ausdruck in seinen Zügen gelöscht worden. Ich wich zur Seite aus, doch er packte mich am Handgelenk. Sein Griff war stählern. Vergeblich versuchte ich, mich loszureißen.
»Tut mir leid, Süße«, sagte er.
»Phin, tu es nicht.« Ich brauchte meine Angst nicht erst zu spielen.
Plötzlich zog er mich zu sich heran, und ich taumelte vorwärts. Dabei hob ich das Knie, um ihm zwischen die Beine zu treten. Doch er ließ mich so schnell herumwirbeln, dass ich das Gleichgewicht verlor. Schließlich prallte ich mit dem Rücken gegen seine Brust, wobei er mir den Arm unerbittlich nach hinten bog. Als seine Hand nach oben wanderte und sich auf meine Kehle legte, erfasste mich eine gewisse Panik, und ich zerrte verzweifelt an seinem Arm. Er drückte nicht so stark zu, dass mir die Luft weggeblieben wäre. Allerdings spürte ich die kalte Klinge, die flach auf meinem Brustbein lag.
Wieder küsste er mein Ohr, und diesmal flüsterte er: »Vertraue mir.« Es war nicht lauter als das Rascheln eines Blatts.
Vertrauen, wenn er mich auf diese Art gefangen hielt – damit verlangte er eine ganze Menge.
Die Vampirtussi grinste mich mit blitzenden Fangzähnen an. Beim Gedanken an mein Blut tropfte ihr förmlich der Sabber aus dem Mund. Den beiden jungen Therianern stand dieser offen, während sie sich das Drama direkt vor ihrer Nase ansahen, als würden sie sich einen spannenden Videofilm reinziehen. Nur Schwarzhut schien das Ganze kaum zu interessieren. In der Gasse war es ruhig. Zu ruhig. Niemand würde uns sehen, niemand würde sich einmischen.
»Phin?«, krächzte ich. Ich vertraue dir.
Wieder schleuderte er mich herum, doch dieses Mal so, dass ich ihm hinterher zugewandt war. Ich erwartete einen weiteren Kuss, ein Nicken oder ein Kopfschütteln als Zeichen für einen gemeinsamen Angriff. Stattdessen rammte er mir das Messer in den Bauch.
10. Kapitel
Vor vier Jahren
B leib hinter mir, verdammt noch mal.«
In Ashs Flüstern liegt eine derartige Dringlichkeit, dass ich innehalte und am Fuß des feuchten Treppenhauses stehen bleibe. Hier ist es irre heiß, denn wir befinden uns in einem jener Mietshäuser ohne Aircondition, in die die drückende Sommerhitze ungehindert eindringen kann. Die Betonwände und die Metalltreppe riechen nach Schweiß – und nicht nur nach dem, der meinen Nacken hinunterrinnt.
Ash schlüpft an mir vorbei und stellt sich eine Stufe über mich. Nun ist sie beinahe auf einer Augenhöhe mit mir. Da ich erst seit zwei Wochen mit ihr zusammenarbeite, kenne ich ihre Mimik noch nicht besonders gut, aber diesen Gesichtsausdruck kenne ich bereits: Wut. Toll, jetzt ist sie schon wieder böse auf mich. Immer dasselbe. Seit dem Augenblick, als ich ihrer Triade zugeteilt worden bin, kann sie mich nicht ausstehen. Ich verstehe ja, dass ein Freund von ihr gestorben ist, dessen Platz ich jetzt einnehme – aber jetzt mal im Ernst. Ich habe ihn schließlich nicht getötet. Und nur, weil sie damit ein Problem hat, braucht sie mir deswegen keine zu machen.
»Wenn du dich meinem Befehl noch einmal widersetzt, prügle ich dich arbeitsunfähig«, zischt sie mich an.
Ich koche vor Wut, denn ich weiß sehr wohl, dass sie eine solche Drohung wahr machen kann und wird. Großer Gott, ich kann nur hoffen, irgendwann eine derart vollendete Kampfkünstlerin wie sie zu werden! Allerdings kann ich mit Drohungen nicht gut umgehen. Konnte ich nie, und werde ich nie können. »Du hast mir nicht befohlen, hinten zu gehen«, erwidere ich.
Ihre dunklen Augen funkeln mich an. »Du bist die Anfängerin, Blondchen. Du weißt, dass dein Platz hinten ist.«
Ich öffne den Mund, um mit ein paar ausgesuchten und wirklich dummen Sprüchen zu kontern. In dem Moment schiebt Jesse sich jedoch gereizt zwischen uns, und sein massiger Leib bildet eine feste Trennwand aus Muskeln. »Jetzt nicht«, sagt er. Stets ist er der Friedensstifter. An der linken Schulter ruht seine zweiblättrige Axt, seine Lieblingswaffe, die er schwingt wie ein mexikanischer Holzfäller. Ihr bloßes Gewicht würde mich schon in den Wahnsinn treiben. Mir sind meine Messer lieber.
Immerhin hat Jesse mir eine Chance gegeben, und so gebe ich nach.
Ash wendet sich um und stürmt die Treppe hinauf. Jesse rennt ihr hinterher. Nach kurzem Zögern folge ich ihnen. Unser Ziel ist der
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