Die Rache der Jagerin
nahm eine starre Haltung an und verschränkte die Hände in ihrem Schoß. Ihr ganzer Körper schien von innen heraus zu beben. »Unserem ersten Spion hat man kein Vertrauen geschenkt. Wie du weißt, sind wir Vampire unseren Familien treu ergeben, und Verrat ist eine schwere, oft unverzeihliche Sünde. Udell war nicht in der Lage, Call von seiner Loyalität zu überzeugen, und wurde deshalb nicht in die Pläne eingeweiht.«
»Und darum hast du ihn durch Eleri töten lassen?«
»Ja.« Bisher hatte sie ihre Gefühle stets gut verborgen, doch in diesem Moment überfiel sie ein sichtbarer Anflug von Trauer. Die ungestüme Regung währte nur einen kurzen Augenblick, aber sie hinterließ eine deutliche Spur. »Sie enttarnte ihn als einen meiner Spione und tötete ihn auf der Stelle. Ihre Stellung in der Familie ist weit geringer als die von Udell, und das war mein Fehler. In den niederen Rängen ist Vertrauensbruch leichter zu verzeihen als in den höheren.«
Ich empfand so viel Mitleid für sie, wie ich gegenüber einem Vampir eben empfinden konnte. »Udell gehörte zu deiner Familie?«
Ihre Nasenflügel bebten. »Natürlich.«
»Nein, ich meinte, ob er mit dir verwandt war.«
»Er war Istrals Gefährte.«
Istral, die Schwester, die letzte Woche vor meinen Augen von Kobolden getötet worden war. Schreiend war sie gestorben, nachdem sie von einer der Kugeln getroffen worden war, die eigentlich zum Schutz der Triaden entwickelt worden waren. Und Max hatte keinen Finger gerührt. Max. Ich brauchte nur an den Namen des Gargoyles zu denken, und schon bebte ich vor Zorn. Einst hatte ich ihn zu meinen Freunden gezählt. Als ich von Kelsa und ihren Koboldhorden gefangen genommen worden war, hatte er sich jedoch völlig rausgehalten.
»Das tut mir leid«, sagte ich.
Sie nickte. »Mir auch. Erst habe ich meine Schwester verloren und nun ihren Mann. Und die Opfer haben mir nur wenig eingebracht.«
»Aber jetzt hast du eine direkte Verbindung zu den Schurken.« Keine Antwort. »Und du konntest mir das Leben retten.« Keine Regung. Sie konnte noch besser schmollen als ich. »Ich weiß ja nicht, wie viel dir Eleri erzählt hat, aber Phineas gibt sich als Verräter an den Triaden aus. Er hat Call gesteckt, dass wir über das Treffen morgen Abend Bescheid wissen und ihnen auflauern wollen, was im Übrigen auch der Wahrheit entspricht.«
»Eleri hat mit etwas Ähnliches berichtet, als wir miteinander sprachen. Calls Plan ist anscheinend sehr einfach, aber möglicherweise tödlich.«
»Er will die Triaden anlocken, um sie dann zu überfallen, stimmt’s?«
»Genau das.«
»Also müssen wir sie überlisten, bevor sie uns kriegen.«
»Völlig richtig.«
Von Minute zu Minute wurde die Sache komplizierter. »Oh, was für ein verworrenes Netz wir doch weben«, murmelte ich.
»Bitte?«
»Nichts. Am besten, wir setzen unsere Überwachung ganz normal fort, damit bei der Dreg-Miliz niemand Verdacht schöpft, dass wir es auf sie abgesehen haben. Und lass uns hoffen, dass niemand zu Schaden kommt.«
»In Kriegszeiten sind Verluste unvermeidlich.«
Ich stotterte. »Wir befinden uns nicht im Krieg.«
»Nicht? Denk mal daran, was alles passiert ist, seit sich deine Freunde gegen dich gewandt haben, Evangeline. Da brauen sich Dinge zusammen, die keiner von uns vorhersehen kann.«
»Liest du das in deiner Kristallkugel?«
Ihr Lächeln war eiskalt. »Ich wandle seit zwei Jahrhunderten auf dieser Erde, Kind. In all der Zeit habe ich kein solches Maß an Feindseligkeit zwischen unseren Völkern erlebt, wie es seit zehn Jahren herrscht. Nicht nur zwischen Menschen und Vampiren, sondern auch zwischen allen anderen Gruppen – die Holden eingeschlossen, die sich für ein Leben unter der Erde entschieden haben.«
Ich hätte ihr erzählen können, dass die Holden – Wichte, Gnome, Dryaden und Pixies – unter der Erde lebten, um einen Durchgang zu bewachen, durch den Dämonen in diese Welt gelangen konnten. Aber wenn sie nichts von der Ersten Kluft wusste, war es nicht meine Aufgabe, sie darüber aufzuklären.
»Na und?«, meinte ich. »Glaubst du etwa, das alles wäre ein Plan, der zehn Jahren lang ausgeheckt wurde und ausgerechnet jetzt zum Tragen kommt? Und dass wir da mittendrin stecken?«
Sie hob eine schlanke Augenbraue. »Und glaubst du, dass es Zufall ist, dass die Triaden ausgerechnet vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurden?«
Ich stand auf, und sofort spürte ich stechende Schmerzen in meinem Bauch, der gegen die heftige
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