Die Rache der Jagerin
auf mich und saß wie eine Königin auf einer Seite des Doppelbetts. Bevor ich die Schachtel auf dem veralteten Holztisch entdeckte, roch ich bereits die Pizza. Daneben standen ein Sixpack eisgekühlter Cola und ein billiger Elektrowecker, der die Uhrzeit anzeigte: sieben Uhr abends. Offenbar hatte ich länger im Container gelegen, als ich gedacht hatte.
»Ich war mir nicht sicher, was du essen willst«, sagte Isleen.
»Tja, ein Bier hätte das Klischee perfekt gemacht.«
»Was?«
»Vergiss es. Danke.«
Ohne auf ihre Erlaubnis zu warten, stürzte ich mich auf das Essen und verbrannte mir prompt die Zunge an einer Scheibe dampfender Salami. Dass der Teig mit Oliven und grüner Paprika belegt war, die ich nicht ausstehen konnte, störte mich nicht. Ich aß einfach alles. Isleen rümpfte die Nase, und da fiel mir auf, wie großzügig es von ihr war, mir eine Pizza zu bestellen. Blutsauger sind furchtbar allergisch gegen Gewächse aus der Lauchfamilie – Zwiebeln, Schalotten, Porree und Schnittlauch. Und Knoblauch, dessen Geruch in Schwaden von der Pizza aufstieg. Ich hatte sogar schon von Vampiren gehört, die in der Nähe von Liliengewächsen, nahen Verwandten der Lauchgewächse, Niesanfälle erlitten.
»Ich muss mit Wyatt sprechen«, erklärte ich zwischen zwei Bissen. »Seit unserem letzten Gespräch sind etliche Stunden vergangen.«
»Wir haben ihm bereits mitgeteilt, dass du in Sicherheit bist.«
»Oh.« Trotzdem wollte ich mit ihm reden, beinahe so dringend wie mit Phin. Ich konnte es gar nicht leiden, wenn die Dinge einfach außerhalb meiner Reichweite passierten. Jemand musste den Ball zu mir zurückspielen – und zwar bald. »Was hast du ihm über Phin erzählt?«
»Nach dem hat er nicht gefragt.«
»Du hast ihm nicht gesagt, dass Phin mich erstochen hat?«
Sie senkte den Kopf. »Wenn ich ihm das gesagt hätte, wäre er gegenüber Phineas vielleicht voreingenommen gewesen, und sie hätten künftig nicht mehr zusammengearbeitet. Oder wäre es dir lieber, wenn sie sich anfeinden?«
So viele Worte, um bloß zu sagen: »Ich wollte nicht, dass sie sich gegenseitig ankotzen.«
Mit einem Schnipp öffnete ich eine Coladose, trank ein paar Schlucke und machte mich an das zweite Stück der Pizza. »Also, was weißt du über dieses Treffen? Ich habe nicht einmal irgendwelche Namen gehört, bevor bei mir die Lichter ausgingen.«
»Der Anführer heißt Leonard Call.«
»Ist das der Typ mit dem schwarzen Filzhut?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, wer dieser Mann ist. Laut Eleris Nachforschungen ist Call schon seit fast einem Monat dabei, eine Miliz zusammenzustellen. Er sucht in allen Gruppierungen nach Interessierten und testet die Mordlust derer aus, die sich ihm in einem Krieg gegen die Menschen und ihre Verbündeten anschließen würden.«
»Das klingt ganz nach dem, was Tovin gemacht hat, als er die Halbvamps und die Kobolde auf seine Seite gebracht hat.«
»Ja, aber ich sehe den Unterschied zwischen Tovin und Call nicht. Und ich verstehe schon gar nicht den Grund, weshalb ein Mensch so etwas tun …«
»Warte mal, wie bitte?«
Isleens scharfe Gesichtszüge schienen sanfter zu werden. »Leonard Call ist ein Mensch.«
Mir schwirrte der Kopf. Das Stück Pizza in meiner Hand kam mir plötzlich nicht mehr so verlockend vor. Ich warf es in die Schachtel zurück und wischte mir die Hände mit einer Papierserviette ab. Selbst die Cola schmeckte auf einmal abgestanden. Ich verfehlte den Mülleimer, und die leere Dose landete scheppernd auf dem Boden. Fassungslos saß ich Isleen gegenüber auf dem Bett und ballte die Hände zu Fäusten, um sie vom Zittern abzuhalten.
»Wer ist dieses Arschloch in Wirklichkeit?«, fragte ich.
»Niemand, wie es aussieht.«
»Was soll das heißen?«
»Dass es keinerlei Aufzeichnungen über einen Leonard Call gibt. Möglicherweise ist es ein Deckname.«
»Oder die Gremlins haben all seine Daten gelöscht.« So wie sie es für Chalice Frost gemacht hatten, indem sie sämtliche Computereinträge und Akten beseitigt hatten. Damit ich mich etwas freier bewegen konnte, hatten sie Chalice vom Angesicht der Welt verschwinden lassen.
»Das wäre natürlich eine Erklärung.« Doch offensichtlich glaubte sie nicht daran.
»Wie lange genießt Eleri schon sein Vertrauen?«
»Ungefähr einen Tag lang.«
»Einen Tag? Du gehst dieser Sache seit fast einem Monat nach und hast davor niemanden dort eingeschleust?«
»Nein, Eleri ist seit einem Tag drin.« Isleen
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