Die Rache der Jagerin
Warum?«
»Weil ich es brauche. Also, wo habt ihr Wyatt und Rufus hingebracht?«
Leo schreckte aus dem Schlaf hoch, als ich gegen die Scheibe klopfte. Er war mit dem Kopf gegen das Glas gelehnt eingenickt, und sein Atem bildete faustgroße Dampfwölkchen. Er blinzelte mich an und war für einen Augenblick verwirrt, dann kurbelte er das Fenster herunter.
»Ich habe fast einen Herzschlag bekommen.«
»Tut mir leid«, sagte ich. »Rutsch rüber, jetzt fahre ich.«
Ohne zu fragen, kam er meiner Aufforderung nach – was mich ziemlich überraschte. Doch bevor er sich auf dem Beifahrersitz zurücklehnte, untersuchte er ihn genau – wahrscheinlich wegen irgendwelcher Blutreste. Ich klemmte mich hinter das Steuer, als das Licht von Scheinwerfern über die Straße huschte. Ich schaltete den Motor an und lenkte den Wagen aus der Parkbucht heraus. Felix fuhr hinter mir her.
Erst bemerkte Leo es gar nicht, doch nachdem wir ein paar Blocks hinter uns gelassen hatten und ich zweimal nach links abgebogen war, drehte er sich um. »Wir werden verfolgt«, meinte er.
»Das ist ein Freund.«
Drei Querstraßen später fuhren wir auf den Parkplatz des Palm Tree Inn, eines weiß gestrichenen Motels zwischen zwei Schnellimbissen. Sein Grundriss war u-förmig, und über der Parkplatzeinfahrt hing ein grelles Neonschild. Ich stellte den Wagen in der Nähe der Rezeption ab, und Felix parkte neben mir. Dann eilte er in das Gebäude.
»Ist hier etwas passiert?«, fragte Leo und schaute sich verwirrt um.
Ich wandte mich ihm zu. »Nein. Leo, du musst mir einen Gefallen tun. Du musst ein paar Tage hier bleiben, während ich mich um ein paar Sachen kümmere.«
Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Besorgnis und Ärger. Offenbar wusste er nicht, für welches davon er sich entscheiden sollte.
»Ich will nicht, dass dir etwas zustößt«, fuhr ich fort. »Und ich kann nicht meinen Job erledigen und gleichzeitig auf dich aufpassen. Wenn das alles vorbei ist, reden wir miteinander. Dann erkläre ich dir alles, was du wissen willst.«
Da dämmerte ihm, was ich meinte, und ihm entglitten die Gesichtszüge. »Du willst sagen, über …«
»Drei Tage, Leo. Versprich mir nur, dass du dich weder der Wohnung noch einer Bierflasche näherst.«
In ihm tobte eine lautlose Schlacht, die mehrere Minuten dauerte, bis Felix mit einem Zimmerschlüssel in der Hand zurückkam. Ich schnappte meine Tasche, stieg aus und gab Leo den Autoschlüssel. Er starrte erst die Schlüssel und dann mich an. »Einverstanden«, willigte er ein.
»Danke«, erwiderte ich und folgte Felix zu seinem Wagen.
Mit ausgeschaltetem Licht warteten wir an der nächsten Ecke, bis Leo mit einem Koffer in sein Zimmer gegangen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Ist das dein Alter oder so?«, fragte Felix, als wir weiterfuhren.
»Jemand, dem ich zu helfen versuche«, antwortete ich.
»Du kannst nicht der ganzen Welt helfen, Evy.«
»Nein.« Ich hatte zu viele Freunde verloren, um etwas anderes zu glauben. »Aber an dem Tag, an dem ich mich nicht wenigstens noch bemühe, stürze ich mich von der Wharton Street Bridge.«
Er grunzte.
»Hast du Waffen übrig?«, fragte ich nach einem kurzen Moment der Stille. »Ich komme mir ein bisschen nackt vor.«
»Im Wagen habe ich keine«, erwiderte er.
Ich richtete den Blick nach vorn. Es war weniger seine Antwort, die mich wütend machte, sondern das kurze Zögern davor. Schließlich bat ich ihn nicht um ein ganzes Arsenal. Nur um ein Messer oder eine Pistole. Selbst mit einer Hundepfeife hätte ich mich etwas besser gefühlt. Jeder Jäger hatte ein paar zusätzliche Waffen dabei.
Meine penetrante Angewohnheit, Wyatts Befehle in Frage zu stellen, hatte uns in der Vergangenheit viele Auseinandersetzungen beschert. Auch jetzt folgte ich lieber meiner starrköpfigen Neugier, als seine Antworten stillschweigend zu akzeptieren. »Wie viele Werkatzen haben das Krankenhaus angegriffen, sagtest du?«
»Nur einer.«
»Und er hat Wyatt zuerst angegriffen?«
»Ja, so war es.«
Er. Ich beobachtete, wie die Stadt an uns vorbeiflog, während Felix nach Westen fuhr, zurück durch die Halbinsel von Mercy’s Lot. Die Straßen waren bis auf einen gelegentlichen Obdachlosen oder einen furchtlosen Abenteurer leer. Ich fuhr einem unbekannten Ziel entgegen und wusste nicht, was mich erwartete. Doch mein Gefühl sagte mir, dass es nicht Wyatt sein würde. »Kein sehr kluger Möchtegernkiller«, meinte ich. »Rufus liegt angeschossen und
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