Die Rache der Kinder
ihr als seiner Großmutter – wie könnte es auch? Sollte Sam je erfahren, was seine Großeltern ihm und seiner Mutter angetan hatten, würde er sie auf ewig verabscheuen.
Shelly war sich bewusst, dass die Leute sie mit Sam beobachteten, und stellte überrascht fest, dass es sie nicht kümmerte: Es war ihr egal, was die Leute dachten. Vielleicht hätte sie Sam schon vor Jahren nach Hause holen sollen. Es wäre schwer gewesen, aber wenigstens hätten sie eine richtige Familie gehabt.
Und Laurie wäre jetzt noch am Leben.
Dann hätte sie nicht über Jahre gelitten und wäre einen so furchtbaren Tod gestorben.
»Magst du Pferde, Sam?«, fragte Pete seinen Enkel.
Sam schaute seine Begleiterin an, als könne sie diese Frage beantworten.
Und das tat sie auch: »Du liebst doch Pferde, nicht wahr, Sam?«
»Vielleicht möchtest du dann ja mal gern in den Stall«, fuhr Pete fort.
»Da halten wir nämlich die Pferde«, sagte Shelly.
»Ich weiß«, entgegnete Sam.
Und damit verwies er seine Großmutter auf ihren Platz.
»Ich konnte nicht wirklich trauern«, sagte Kate später zu Rob, »denn ich habe Laurie nicht richtig gekannt. Ich konnte nur daran denken, wie verängstigt sie an jenem Tag gewesen ist, und ich bin ziemlich sicher, dass sie das gehasst hätte.«
»Du bist aus Respekt zur Beerdigung gegangen«, sagte Rob. »Und das war richtig so.«
»Ihre Eltern geben mir die Schuld an allem.«
»Ich nehme an, dass sie dich damit in Verbindung bringen«, erwiderte er, »aber nicht, dass sie dir die Schuld daran geben.«
»Ich wollte mit ihnen reden«, sagte Kate, »aber ich dachte, das würde alles nur noch schlimmer für sie machen.« Sie hatte ihnen vor ein paar Wochen einen Beileidsbrief geschrieben und versucht, etwas Tröstendes zu sagen; doch ihr war nichts eingefallen. Und dann hatte ihr Versagen, Rogers Stimme zu finden, ihre Schuldgefühle nur noch verstärkt.
»Wenigstens ist die Beerdigung jetzt vorbei«, bemerkte Rob.
»Ich wünschte, du hättest recht«, sagte Kate.
64. Kate
Kate und Rob hatten sich gemeinsam darauf geeinigt, Caisléan zu verkaufen. Doch als im März ein paar Immobilienmakler zur Besichtigung kamen, versuchte Rob alles, Kate davon zu überzeugen, ihn allein gehen zu lassen. Er wollte ihr ersparen, noch einmal nach Caisléan zurückzukehren, doch sie fühlte sich dazu verpflichtet.
»Ich muss mich dem stellen«, sagte sie. »Ich schaff das schon. Du bist ja da.«
»Wenn du dir sicher bist«, sagte Rob.
Sie war sich ganz und gar nicht sicher.
Es war nicht besser, als sie gedacht hatte.
»Es ist seltsam«, sagte sie. »Irgendwie unwirklich.«
Sie fühlte sich losgelöst von allem.
»Ja«, sagte Rob, »auch ich will hier keine Minute länger als nötig verbringen.«
»All deine harte Arbeit … welch eine Verschwendung.«
Kate versuchte, sich umzuschauen, ohne sich an jenen letzten Tag zu erinnern, doch in ihrem Geist hing Simons Leiche noch immer am Haken, und Laurie lag nach wie vor ermordet auf ihrem Bett. Kate war nicht einmal mehr sicher, ob sie auch nur einen Hauch von Trauer empfinden würde, sollte sie hören, dass Caisléan niedergebrannt war.
»Wir können so etwas jederzeit wieder machen«, sagte Rob, »irgendwo anders.«
»Vielleicht sollten wir lieber bei Hotels bleiben, wenn wir eine Auszeit brauchen.«
Kate sagte es, so beiläufig sie konnte, damit Rob nicht bemerkte, wie groß ihre Angst davor war, je wieder in einem Wochenendhaus zu übernachten.
»Du brauchst mir nichts vorzuspielen«, sagte Rob. »Nie.«
»Ich weiß«, erwiderte Kate erleichtert.
Auf dem Heimweg ließen sie sich Zeit. Sie genossen den Anblick von ein paar frühen Lämmern auf den Wiesen und machten dann einen Umweg Richtung Westen, um sich an einem ausgiebigen Mittagessen in einem Restaurant nahe Pangbourne zu erfreuen. Das Essen war hervorragend und die Atmosphäre entspannend, doch Kate hatte das Gefühl, dass sie vermutlich dieselbe Freude empfunden hätten, hätten sie an diesem Tag bloß ein Sandwich in einem Pub gegessen.
Sie waren sich näher als je zuvor.
Kate war noch immer zufrieden, als sie zu ihrem Haus zurückfuhren.
Auch als Rob die Haustür aufschloss.
Und dann war diese Zufriedenheit von einem Augenblick auf den anderen verschwunden, als sie erkannten, dass sie Opfer eines Einbruchs geworden waren.
Es war also doch nirgends sicher.
Es war nur ein Eintrag in einer Statistik.
Natürlich war es bei Weitem nicht die schlimmste Art von Raub gewesen, denn sie waren
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