Die Rache der Kinder
vielleicht an das vierte Kind erinnern konnten oder sogar an ein fünftes – da war ja immer noch der »Häuptling«. Doch bis jetzt hatte niemand etwas herausgefunden.
Vielleicht waren den Leuten die Kids damals schlichtweg egal gewesen, dachte Kate.
Sie hatten sich jedoch um die jeweils anderen gekümmert; das wusste Kate.
Sie erinnerte sich daran, wie Piggy Simon das Haar gestreichelt hatte, nachdem er ihr die Maske abgenommen hatte. Sie erinnerte sich daran, gefühlt zu haben, dass er sie liebte. Also war sie , Carol Marsh, aller Wahrscheinlichkeit nach seine Achillesferse.
»Deshalb bin ich mir auch so sicher«, sagte sie im Juli zu Helen Newton, »dass er irgendwann ihr Grab besuchen wird.«
Newton antwortete, das könne durchaus sein; wahrscheinlich habe er es bereits getan. Auf dem Friedhof gebe es schließlich keine Überwachungskameras, und es bestünde kein wirklicher Grund, das Grab zu observieren.
»Es ist beinahe so, als hätten sie das Interesse verloren«, beschwerte Kate sich am Telefon bei Martin Blake über die Polizei. »Sie haben zwei dieser Leute gefasst, und das reicht ihnen.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach Blake. »Besonders deshalb nicht, weil ihnen vermutlich auch Laurie Moons Eltern im Nacken sitzen.«
»Ob Newton wohl glaubt, Jack oder Roger würden Piggys Identität verraten?«, fragte Kate den Anwalt. »Vielleicht als Teil eines Deals vor Gericht?«
»Könnte sein«, antwortete Blake. »Möglich.«
»Er ist gar keine richtige Hilfe«, beschwerte Kate sich während des Abendessens bei Rob.
»Ich nehme an, er kann im Moment auch nicht allzu viel tun«, entgegnete er.
Er nahm eine Gabel Pasta, sah, dass Kate nicht aß, und legte die Gabel wieder auf den Teller.
»Dann hängt also alles von den Verhören ab«, sagte er, »oder ob es ihnen gelingt, einen Deal mit den anderen beiden auszuhandeln.«
»Die werden Piggy nicht aufgeben«, erklärte Kate überzeugt.
»Da kannst du nicht sicher sein«, erwiderte Rob.
»Doch, kann ich«, widersprach Kate. »Ich weiß zwar nicht genau, warum, und ich weiß auch, dass es seltsam klingt, aber ich habe einfach das Gefühl, dass sie einander nicht verraten werden.«
»Ehre unter Dieben«, bemerkte Rob.
»Ehre unter Mördern «, korrigierte ihn Kate.
»Ja, da hast du recht.« Rob griff nach der Flasche und schenkte ihnen beiden Rotwein nach. »Und es freut mich, dass du es so sagst. Allmählich hast du dich nämlich schon so angehört, als würdest du sie bewundern.«
»Nicht in hundert Jahren«, erwiderte Kate.
Vor ihrem geistigen Auge starb Laurie Moon erneut.
77. Kate
Nach und nach akzeptierte Kate, dass die Situation sich nicht mehr verbessern würde – jedenfalls im Augenblick nicht.
Jack war der schweren Körperverletzung und des Einbruchs für schuldig befunden worden und musste für zehn Jahre hinter Gitter.
Also war einer tot und zwei in Haft.
In der Zwischenzeit ging das Leben für Kate weiter.
Ihrer Kolumne jedoch war offenbar kein so langes Leben mehr vergönnt. Der Albtraum von Caisléan hatte es nicht nur emotional schwer für Kate gemacht, ihre alltäglichen Gedanken mit den Lesern zu teilen, sondern auch rechtlich unmöglich. Ihr Stress hatte sich auch im Tagebuch einer Frau mit kurzer Lunte niedergeschlagen, und sie war sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Fireman den Stecker zog.
Deshalb sagte sie ihm Ende Juli, dass sie eine Biografie über Claude Duval schreiben wolle, den französischen Straßenräuber, der angeblich ein Haus in Sonning-on-Thames besessen hatte – jenem Ort, wo auch Dick Turpins Tante gewohnt hatte.
»Seltsam«, bemerkte Fireman, »dass du dich ausgerechnet jetzt von Schurken angezogen fühlst.«
»Im Gegenteil«, erwiderte Kate. »So charmant Duval auch gewesen sein mag – er hat Reisende terrorisiert. Ich kann dir versichern, dass ich kein romantisches Bild von ihm zeichnen werde.«
Auch Rob hatte ein neues Interesse entwickelt, angeregt von einer Kollegin, die in seiner Schule im Büro arbeitete: Marie Coates, einer Querschnittsgelähmten, die in ihrer Freizeit Therapeutisches Reiten für behinderte Kinder auf Lambsmoor Farm organisierte, südlich von Blewbury.
»Es ist ein kleines, unabhängiges Programm«, berichtete Rob. »Marie hat vorgeschlagen, dass ich es mir am Samstag mal anschauen soll.«
Das war nicht weit vom Ridgeway Path, überlegte Kate, nicht weit von Caisléan.
»Gute Idee«, sagte sie.
Nicht weit genug.
»Findest du wirklich?«,
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