Die Rache der Kinder
die ist in ihrem Fall ungewöhnlich lang.«
Kate dachte nach. »Ich bin sicher, auch schon mal etwas von Stimmidentifikation gelesen zu haben.«
»Darauf verlässt man sich nur, wenn man zum Beispiel den aufgezeichneten Anruf eines Erpressers hat oder dergleichen«, erklärte Blake. »Außerdem haben Sie in gewisser Hinsicht Rogers Stimme ja bereits identifiziert, und würde Newton auf etwas Formelleres drängen, würde die Verteidigung den Zeitabstand sogar noch mehr hervorheben.« Erneut legte er eine kurze Pause ein. »So wie es aussieht, stellt sich außerdem die Frage, ob Ihnen die Stimme nicht einfach nur aus dem Fernsehen vertraut war.«
Kate verstand sofort. »Sie werden sagen, wenn ich Roger zweimal bewusst im Fernsehen gehört habe, hätte ich sie unbewusst vielleicht schon öfter gehört und sei verwirrt.«
»Dazu wird es nicht kommen«, sagte Blake, »wenn sie eine gute Verteidigung aufbauen können.«
»Und was passiert als Nächstes?«, fragte Kate.
»Ich fürchte, wir müssen weiter warten.«
»Ich nehme nicht an, dass man Ihnen Rogers echten Namen genannt hat, oder?«
»Noch nicht«, antwortete Blake.
Kate kam noch ein Gedanke. »Was ist, wenn sie der Videoidentifizierung nicht zustimmt? Das ist doch ihr Recht, oder?«
»In dem Fall würde die Polizei ihr Kopfbild verwenden. Es wären dann Fotos und keine bewegten Bilder.«
»Na, wunderbar«, sagte Kate säuerlich.
»Ich bezweifle allerdings, dass sie sich weigern wird.«
»Weil sie darauf vertraut, dass ich sie nicht identifizieren kann.«
»Hoffen wir, dass sie sich irrt«, sagte Blake.
71. Kate
Der Vorgang würde in einem speziell dafür vorgesehenen Raum der Kriminalpolizei von Oxfordshire stattfinden.
Es würde niemand da sein, der irgendwie mit den Untersuchungen zu tun hatte.
»Um den Vorwurf der Voreingenommenheit zu vermeiden«, erklärte Blake.
Die Verdächtige, fuhr er fort, würde ebenfalls nicht anwesend sein, aber ihr Verteidiger.
»Und Sie?«, fragte Kate. »Werden Sie da sein?«
»Glücklicherweise brauchen Sie keinen Verteidiger«, antwortete Blake.
Das war natürlich ein Vorteil. Trotzdem fühlte Kate sich verlassen.
Und wieder hatte sie schreckliche Angst.
»Lass nicht zu, dass sie dir das antun«, ermahnte Rob sie am Schalter im Polizeirevier, kurz bevor man Kate in den Videoraum führte.
Sie drückte seine Hand und versicherte ihm: »Keine Bange. Mit mir ist alles in Ordnung.«
Das war eine Lüge.
Kate wurde in den Videoraum geführt und dem für das Verfahren zuständigen Beamten vorgestellt. Er war ein freundlicher Mann, der ihr erklärte, dass man alles, einschließlich ihrer Reaktionen, aufzeichnen würde. Sie solle sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, sagte er, sondern möglichst entspannt sein. Sie könne sich so viel Zeit lassen, wie sie wolle.
Entspannt sein! Und das, wo hier so viel auf dem Spiel stand – nicht nur für sie, sondern auch für die Familie Moon.
Kate bedankte sich bei dem Beamten.
Erste Erinnerungsfetzen drangen bereits wieder auf sie ein.
Die vier, wie sie mit ihren unheimlichen Masken auf sie zu-kamen.
Roger, die ihr Gesicht aufs Sofa drückte und sie beinahe erstickte.
Roger, die auf Lauries Schenkeln kniete und sie so festhielt, dass Jack ihr die Kehle durchschneiden konnte.
Entspannt sein.
Der Beamte las ihr die förmliche Erklärung des Verfahrens vor und sagte ihr, dass die Verdächtige in dem Film auftauchen könne oder auch nicht. Kate solle sich den gesamten Film mindestens zweimal ansehen. Wenn sie wolle, könne sie sich jeden Teil des Films auch häufiger ansehen. Wenn sie keine Identifikation vornehmen könne, solle sie es sagen.
Panik keimte in Kate auf. Ihr wurde übel, und am liebsten wäre sie davongerannt. Ohne Maske würde es so gut wie unmöglich für sie sein, Roger zu erkennen. Die ganze Sache wareine Travestie! Roger würde wieder freikommen, und sie und die anderen würden wissen, dass sie gewonnen hatten.
Doch dann begann es.
Es waren neun Bilder, eins nach dem anderen, auf einem Bildschirm, und jedes Bild war nummeriert.
Neun Fremde.
Aber Kate erkannte sie.
Sie hatte die Augen halb geschlossen, damit die Reihenfolge der Bilder ein wenig verschwamm. Ihr Herz hämmerte, und sie bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Bei jedem Durchlauf hatte man Rogers Bild an eine andere Stelle gesetzt, und jedes Mal schaute sie zuerst in die Kamera und drehte den Kopf dann nach rechts und links.
Ein zum Leben erwecktes Monster.
Es war seltsamer, als Kate
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