Die Rache der Liebe
hatte einen schönen, jungen Körper, ohne eine sichtbare Wunde, wie Blythe feststellte, dafür aber mit zahlreichen Narben, die ihn als kühnen Kämpfer auswiesen. Er war der größte und breiteste Mann, den sie je gesehen hatte. Doch es war vor allem sein Gesicht, von dem sie die Augen nicht wenden konnte, das Gesicht eines Engels, so unsagbar schön, dass ihr das Herz in der Brust schmerzte. Obwohl Blythe schon zahllose Leichen gesehen hatte, stiegen ihr nun beim Anblick dieses einen Toten erstmals Tränen in die Augen.
Es war beispielhaft für Seligs Wirkung auf Frauen, dass Blythe, die ihn nicht kannte und ihn nie zuvor gesehen hatte, über seinen Tod weinen muss te. Sie kniete sogar neben ihm nieder und streckte die Hand nach seiner Wange aus. Die Haut fühlte sich warm und geschmeidig an, was ihr ein überraschtes Keuchen entlockte. Doch als sie dann auch noch seinen Atem spürte, zog sie die Hand mit einem schrillen Aufschrei weg.
»Tante Valda, dieser Mann hier ist gar nicht tot!«
Valda schaute von dem Überrock auf, den sie gerade zusammenfaltete, und erwiderte ungerührt: »So? Aber bald wird er es sein.«
»Und er hat auch nirgendwo eine Wunde! «
Valda begab sich zu ihrer Nichte, um sich den Mann anzuschauen. Beim Umdrehen des Mannes hatte sie sich lang genug mit seinem Rücken abgeplagt, um zu wissen, dass auch dort keine Wunde verborgen war. Als sie sich nun zu dem Mann niederbeugte und seinen Kopf mit beiden Händen anhob und abtastete, entdeckte sie die faustgroße Schwellung, die von dem Schlag auf seinen Hinterkopf stammte.
Sie ließ seinen Kopf auf den harten Boden zurückfallen, ohne sich um die Schmerzen, die sie ihm womöglich zufügen könnte, Gedanken zu machen. Der Mann gab keinen Laut von sich.
»Sein Schädel ist zertrümmert worden«, sagte sie ohne Umschweife. »Von solchen Verletzungen erholen sich die wenigsten.«
»Aber er könnte es schaffen?«
»Aye, mit guter Pflege könnte er das wohl, nur wird er die hier draußen nicht erhalten. Jetzt komm weiter. Ich bin fertig ... «
»Ich könnte ihn pflegen.«
Über Valdas Gesicht zog ein ärgerlicher Ausdruck. »Wie stellst du dir das vor? Wir haben nicht genug Nahrungsmittel, um hier unser Lager aufzuschlagen. Und zudem wäre das pure Zeitverschwendung, weil er wahrscheinlich sowieso sterben wird.«
Den Blick unverwandt auf den Mann gerichtet, beharrte Blythe: »Wenn eine Chance besteht, ihn zu retten, so werde ich das tun. «
»Ich sagte dir doch, wir können nicht hierbleiben. Wir müssen weiter zum nächsten Dorf, um unsere Nahrungsmittel ... «
»Dann nehmen wir ihn eben mit.«
Genervt rollte Valda die Augen gen Himmel. »Bist du blöde, Mädchen? Warum sollten wir etwas so Närrisches tun?«
»Um ihn zu retten«, antwortete Blythe schlicht.
»Aber er ist wertlos für uns.«
Bei diesen Worten kam Blythe das einzig mögliche Argument in den Sinn, das ihre Tante sicher umstimmen würde. »Er wird uns für seine Rettung belohnen, und zwar nicht nur mit ein paar Pennys, sondern einem Riesenbatzen Geld. Er ist ein Lord. Warum sonst hätte man ihm sogar die Hose abgenommen? Würde es dir denn nicht gefallen, mit einem Sack Geld bei Aldrich aufzutauchen, damit wir nicht gar zu bedürftig erscheinen?«
Obwohl Valda den Köder bereits geschluckt hatte, runzelte sie weiterhin die Stirn. »Es ist eine mühsame Plackerei , Haferschleim in die Kehle eines Mannes zu zwingen, der halbtot ist und nicht schlucken kann. Er wird von Tag zu Tag schwächer werden und nach einer Woche schon allein am Hunger zugrunde gehen.«
»Vielleicht zweihundert, dreihundert ... «
»Dann hilf mir, ihn auf den Karren zu heben! Aber ich warne dich, Mädchen: Wenn er bis Bedford noch immer nicht aufgewacht ist, werde ich ihn eigenhändig ins nächste Gebüsch schmeißen! Wir können bei Aldrich unmöglich mit diesem Mann auftauchen! Er würde uns gar nicht erst hineinlassen. Mein Cousin will mit den Adligen nichts zu tun haben, auch nicht mit dankbaren. Mit denen ist nämlich nicht gut Kirschen essen. Also versprich, dass du dich daran hältst! Wenn die Zeit gekommen ist, ihn loszuwerden, will ich keine Widerrede hören!«
Blythe nickte eifrig. Sie vertraute ganz darauf, dass sie den Mann binnen zwei Wochen heilen könnte, der Zeitspanne, die sie mit ihrem alten Ochsen bis nach Bedford benötigten. Wie vorherzusehen war, pass te er nicht in den Karren. Seine Beine baumelten über den Rand, und bei jeder Straßenunebenheit schlugen seine Füße auf
Weitere Kostenlose Bücher