Die Rache der Liebe
entzündeten Fußsohlen sein.
Unwillkürlich fühlte er sich an die Zeit erinnert, als er, auf der Suche nach seiner Schwester, an der Südküste von Wessex entlanggewandert war. Er hatte in der Verkleidung eines Fischers keltischer Abstammung aus Devon gesteckt, eines armen Fischers in schäbiger Kleidung. Aber vorher, ehe er Hilfe für seine Verwundung gefunden hatte, war er im Fieberdelirium gelegen. Er hatte während dieser Zeit beängstigend echt wirkende Träume gehabt, und nun beschlich ihn für einen Moment die Furcht, er befände sich noch immer in jener Zeit und alles, was seitdem geschehen war, sei nichts als Fieberphantasie gewesen. Rasch schüttelte er diese Vorstellung ab, denn schließlich hätte er unmöglich einen Menschen wie seinen Schwager träumen können, noch bevor er ihm überhaupt begegnet war. Royce war zu einzigartig - und der Schmerz in seinem Schädel war zu wirklich und stand mit jener anderen Zeit überhaupt nicht in Verbindung.
Die Kleidung allerdings schon. Sie war genauso schäbig, wie die andere gewesen war, und dass er sie trug, ergab einfach keinen Sinn. Und abgesehen davon: Seine Reisegruppe war auf einem Waldweg überfallen worden; warum hatte man ihn ins Gebüsch geschleppt? Oder war er selbst hierher gekrochen? Er konnte die Straße sogar durch das Blattwerk hindurch erkennen, allerdings waren keine Leichen zu sehen. Hatte man sie bereits entdeckt und ihn nur übersehen, weil er in dieses Gebüsch hier gekrochen war? Und falls er selbst dorthin gelangt sein sollte, wieso hatte er dann diese Kleidungsstücke an?
All die ungelösten Fragen waren für seinen ohnehin schon schmerzenden Kopf zuviel, und so verschob er sie kurzerhand auf später. Zudem drängte allmählich die Zeit. Die tiefstehende Sonne verriet ihm nicht, ob es früher Morgen oder später Nachmittag war. In jedem Fall muss te er vor Einbruch der Nacht Hilfe finden, und das war nur möglich, wenn er sich endlich erhob.
Es war nicht einfach. Anfangs muss te er sich immer wieder auf alle Viere hinkauern und warten, bis der Schwindel vorbei war, und die ersten wenigen Schritte, die ihm schließlich gelangen, waren geradezu lachhaft, da seine Beine vor Schwäche ständig einknickten. Aber nun wollte er es erst recht schaffen, nicht mehr so sehr um des bloßen Überlebens willen, sondern aus Sturheit. Und tatsächlich wankte er kurze Zeit später durch den Wald, schob sich von Baum zu Baum, geriet ins Straucheln, wenn er mal keinen Halt fand, fiel mehrmals hin, aber rappelte sich jedes Mal wieder auf und taumelte unbeirrt weiter.
Er blieb im Wald, da die Straße für einen einzelnen Reisenden zu unsicher war, besonders ohne Waffen, die ihm alle abhanden gekommen waren. Seine lange Axt war weg, sein friesisches Schwert, der juwelenbesetzte Dolch, den er in seinem Gürtel getragen hatte, und natürlich auch der Gürtel mit seinem Talisman, einer Silberschnalle, auf die Thors Hammer eingraviert war. Oh, wenn er diese Diebe je zwischen die Finger bekäme...
Er roch das Essen, noch ehe er die Hütte entdeckte, und nun war er wieder Selig, der Gesegnete, das Glückskind, denn in der Hütte befand sich nur die Hausfrau, die ihn nach einem kurzen Blick sofort an ihren Tisch führte. Sie türmte Laiber frisch gebackenen Brotes vor ihm auf, mit cremiger Butter und allen Beilagen, die von ihrem Morgenmahl übriggeblieben waren, und während er sich gierig darauf stürzte, kochte sie ihm noch mehr, einschließlich des Waldhuhns, das sie als Mittagessen für ihren Gatten vorgesehen hatte.
Sie war ein rundlicher, rotwangiger Engel von Frau mittleren Alters, die ihn nach Strich und Faden verwöhnte, wie er es von Frauen gewohnt war, wenngleich er kein Wort von dem verstand, was sie sagte. Es war vermutlich Angelsächsisch, aber in einem ihm fremden Dialekt. Und obwohl er sämtliche Sprachen, die er kannte, hervorkramte, konnte sie ihn genausowenig verstehen wie er sie. Er aß alles auf, was sie ihm vorsetzte, bis er nichts mehr hinunterbrachte und trotzdem das Gefühl hatte, er könnte noch mehr essen.
Am liebsten hätte er die Nacht hier verbracht. Ein Teil seiner Kraft war zurückgekehrt, aber er war immer noch geschwächt, und der pochende Schmerz in seinem Kopf hatte auch durch das üppige Mahl nichts an Intensität verloren. Was er jetzt brauchte, war nicht nur Ruhe, sondern auch eine Heilerin, und er bezweifelte, dass die Hausfrau ihm dabei helfen könnte, selbst wenn er ihr durch Gesten seine Lage verständlich machen
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