Die Rache der Liebe
konnte sie also Ivarrs feindseliges Verhalten verstehen, nur war es für sie nicht gerade angenehm.
Diese Reise war für Erika in jeder Beziehung eine enorme Strapaze gewesen. Abgesehen von ihrer ungewissen Zukunft, die schon beängstigend genug war, hatte sie sich unentwegt gesorgt, dass Kristen sie nun, da ihr Gemahl gekommen war, ganz der Aufsicht ihres Bruders überlassen würde. Doch diese Sorge war unbegründet gewesen. Scheinbar hatte Erikas Bitte in jener ersten Nacht etwas gefruchtet, denn wenn die Norwegerin ein natürliches Bedürfnis verspürt hatte, war sie weiterhin zu Erika gekommen, um sie in die Büsche mitzunehmen.
Bei einer dieser Gelegenheiten hatte Erika sogar versucht, auf Kristen einzuwirken, sie bei ihrer Vernunft zu packen und auf die Konsequenzen ihrer Festnahme hinzuweisen, die noch immer vermieden werden könnten.
»Mein Bruder wird kommen und mich holen«, hatte sie ihr mitgeteilt. »Er käme auch dann, wenn er weiter weg leben würde.«
»Aye, das glaube ich gern. Aber er wird dich erst dann zurückbekommen, wenn sich mein Bruder für deine Freilassung entscheidet. Und bis dahin willst du vielleicht gar nicht mehr zurück. «
Erika konnte sich nur einen Grund vorstellen, weshalb sie nicht zurück wollen würde - wenn ihre Keuschheit befleckt wäre. »Du meinst, er wird mich vergewaltigen?«
Kristen schnaubte verächtlich. »Eine Frau vergewaltigen, die er hasst ? Nay, das zumindest brauchst du nicht zu befürchten.«
»Und weshalb sollte ich dann nicht zurück nach Hause wollen?«
»Weil es sehr wahrscheinlich ist, dass du dich in ihn verlieben wirst«, antwortete Kristen achselzuckend.
Ungläubig starrte Erika die Frau an und hätte über die Absurdität dieser Bemerkung beinahe laut losgelacht. »Mich in einen Mann verlieben, der mir weh tun will? Wie kannst du so etwas sagen?«
»Das wäre doch eine angemessene Bestrafung, findest du nicht?«
»Das kann unmöglich passieren.«
»Sag nicht >unmöglich<. Du wirst es sehr wahrscheinlich gar nicht verhindern können. Die anderen versuchen es nicht einmal. «
»Die anderen?«
»All die Frauen, die ihn lieben.«
All die Frauen, die ihn lieben.
Eine ungewöhnliche Behauptung, es sei denn, man zog das wahrhaft ungewöhnliche Aussehen dieses Mannes in Betracht. Erika hatte zwar keine Angst, dass sie irgendwann zu »all den Frauen« gehören könnte, war aber dennoch überrascht, als sie nun mit eigenen Augen sah, wie viele Frauen in der Tat um ihn herumschwirrten.
Unentwegt eilten Frauen in den Raum herein und wieder hinaus. Zwischen einigen kam es zu Streitigkeiten, wer was für Selig holen durfte. Für diesen Mann, der keine Wärme in sich trug, der kein Mitleid kannte und keine Vergebung - und ganz sicher keine Gnade! Wie konnten derart viele Frauen so oberflächlich sein, einen Mann nur aufgrund seines guten Aussehens zu lieben, selbst wenn es so bemerkenswert wie das seine war?
Als Erika die Augen wieder öffnete und sich umschaute, befanden sich nur mehr die Mutter und eine ältere Dienstmagd im Raum. Selig war nun zugedeckt. Er lag auf dem Bauch und hatte die Augen geschlossen; wahrscheinlich schlief er, da sich die beiden Frauen im Flüsterton unterhielten. Nun schickten sie sich an, den Raum zu verlassen, sammelten die Tücher ein, die zum Waschen von Selig benutzt worden waren, sowie den Wasserkübel, das duftende Reinigungsöl und die restlichen Speisen.
Erika hielt den Atem an, betete im stillen, sie möge weiterhin unbemerkt bleiben. Ihr Gebet fand jedoch kein Gehör. Vielmehr kamen beide Frauen geradewegs auf sie zu und blieben direkt vor ihr stehen. Offensichtlich war ihnen Erikas Anwesenheit die ganze Zeit über bewußt gewesen.
»Ich bin Brenna Haardrad, Seligs Mutter.«
Ihre Stimme war kühl, und in ihrer Miene spiegelte sich jene tiefe Abneigung, die Erika mittlerweile schon vertraut war. Dasselbe drückte sich im Gesicht der Dienstbotin aus.
» Das dachte ich mir bereits«, erwiderte Erika.
»Er hat mir erzählt, was geschehen ist - und welche Rolle du dabei gespielt hast.«
» Hat er auch gesagt, wie er sich seine Rache vorstellt?«
»Ich würde dich zunächst auspeitschen lassen, so wie du es mit ihm gemacht hast - und dann würde ich weiter überlegen. Wäre ich bei seiner Befreiung dabei gewesen und hätte seinen grauenvollen Zustand entdeckt, hätte ich dich auf der Stelle getötet. So reagieren hitzige Menschen nun mal. Sie handeln impulsiv, und die Reue kommt dann meist zu spät. Ich muss
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