Die Rache der Liebe
vorhaben?« erwiderte Royce achselzuckend.
»Nay, nicht, wenn er sie hasst .«
Royce hatte da freilich Erfahrungen, die gegen Garricks Argument sprachen. Er hatte Wikinger ge hasst und dennoch eine Wikingerin geheiratet. Er hatte Kristen aufgrund ihrer Abstammung verabscheut, sie obendrein für eine Hure gehalten, was seinen Abscheu noch verstärkt hatte. Aber als diese herrliche, stolze Frau dann in seiner Gewalt gewesen war, hatte sich sein Hass blitzartig verflüchtigt.
Allerdings hatte ihn Kristen niemals derart gedemütigt und verletzt, wie es Selig bei Erika erlebt hatte, und genau darin lag der riesengroße Unterschied.
18
Unbeachtet saß Erika in einer Ecke des Schlafgemachs auf dem Fußboden. Ihre Handgelenke und Fußknöchel waren wieder gefesselt, um sie an Ort und Stelle zu bannen. »Bis Ketten für deine Maße angefertigt sind«, hatte ihr Ivarr mitgeteilt. Erika hatte es damit nicht gerade eilig.
Seit sie in den Raum gekommen war, hatten die Aktivitäten nicht nachgelassen. Wasser wurde herein- und wieder hinausgetragen. Neues Wasser wurde gebracht und fortgeschafft. Berge von Speisen wurden angeschleppt und, noch bevor sie ausgekühlt waren, wieder weggebracht, um gleich darauf durch weitere heiße Speisen ersetzt zu werden.
Am Tisch nebenan mischte die Heilerin ihre Kräuter. Sie war eine alte Frau mit zotteligem braunen Haar und einer scharfen Zunge, die sie ohne Rücksicht auf Stand und Würde einer Person gebrauchte. Selig war nackt ausgezogen und eingehend untersucht worden. Währenddessen waren etliche Frauen anwesend, von denen Erika nicht eine erröten sah. Später sollte sie erfahren, dass die Heilerin die einzige Frau im Raum war, die ihn noch nie nackt gesehen hatte - außer ihr selbst natürlich, Und so war Erika die einzige Frau, die errötete - und die den Blick verlegen abwandte.
Erika fand es grässlich , wie all diese Frauen um Selig klagten und jammerten. Man könnte meinen, sie seien allesamt seine Ehefrauen, doch Erika wußte, dass die Angelsachsen nur eine Gattin erlaubten, und da Selig unter ihnen lebte, würde er ihre Gesetze befolgen müssen. Allerdings schien keine der Frauen die Autorität einer Ehegattin zu haben. Die einzige Frau mit Autorität war die schwarzhaarige ältere Frau, die gerade behutsam eine Salbe über Seligs geschundenen Rücken strich.
Aufgrund der Szene, die sie im Burghof beobachtet hatte, vermutete Erika, dass es sich bei der Frau um Seligs Mutter handelte. Wieder ein Mitglied seiner Familie, das sie hasst e. Erika hoffte, die Frau würde sie nicht beachten, und im Moment sah es auch so aus, da die Frau ihre Aufmerksamkeit einzig ihrem Sohn widmete.
Erika lehnte den Kopf an die Wand, schloss die Augen und bemühte sich, nicht mehr daran zu denken, was da auf dem breiten Bett vor sich ging. Seit ihrer Gefangennahme hatte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können, und auch jetzt schossen ihre Gedanken wild durcheinander. Nichts war geschehen, was ihre Angst ein wenig gemildert hätte. Die Tatsache, dass sie nun in einer Burg mit hohem Festungswall gelandet war, machte ihre Angst nur noch größer.
Turgeis weilte jetzt sicher nicht mehr in nächster Nähe. Die Hoffnung war geschwunden, dass er sich nachts in das Lager stehlen und sie befreien würde. Und Turgeis war kein Mann, der unbemerkt durch ein Tor schlüpfen konnte, gleichgültig, ob bei Tag oder Nacht.
J etzt konnte sie nur mehr auf ihren Bruder warten, und sie wußte nicht, wie lange das dauern würde. Auch wenn Selig verkündet hatte, er werde ihren Bruder töten, würde sie diesen Gedanken ignorieren und sich nicht davon quälen lassen. Nay, Ragnar würde irgendwie Druck auf Selig ausüben, und sie würde befreit werden. An diese Hoffnung muss te sie sich einfach klammern.
Es hatte keine beunruhigenden »Gespräche« mehr mit ihrem Rächer gegeben, und man hatte sie auch nicht gezwungen, weiterhin mit ihm im Wagen zu reisen. Als man am dritten Tag die Vorhut losgeschickt hatte, hatte sie hinter Ivarr auf dessen großem Schlachtross aufsitzen müssen. Sie vermochte nicht zu sagen, welche Fortbewegungsart unangenehmer gewesen war.
Mit seiner kalten Verachtung für sie war Ivarr noch schlimmer als Thorolf. Und von der Anstrengung, den vor ihr sitzenden Ivarr möglichst nicht zu berühren, schmerzte ihr noch jetzt jeder einzelne Muskel. Aber sie hatte herausgefunden, dass Ivarr Seligs bester Freund war, so wie Thorolf Kristens bester Freund in diesem Land war. In gewisser Weise
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